Die Wahrheit: Weher Odem der Poesie

Zu Gast bei der "1. Internationalen Weltmeisterschaft der Apnoelyriker" im poetischen Ort Überdingen. Die Atmosphäre ist zum Zerreißen gespannt...

...im spärlich beleuchteten Festsaal der Überdinger Graf-Holzklotz-Halle. Inmitten einer Schar aus schlecht frisierten und teilweise in Lumpen gehüllten Menschen steht ein zerzauster Spargeltarzan an einem Pult und schreibt, als hinge sein Leben davon ab.

Es ist mucksmäuschen still, und keiner der Umstehenden wagt es, die angespannte Ruhe zu stören, nur das Kritzeln seines Stifts auf der hölzernen Unterlage bohrt sich in die Gehörgänge. Plötzlich entfleucht dem Schreibenden mitten im Wort "Geburtenpfahl" ein dumpfes Stöhnen, er kippt wortlos nach hinten um und fällt ohnmächtig auf eine bereitgelegte Matte.

Dann hupt es kurz und eine große rote Uhr über den Köpfen der Zuschauer bleibt bei "3:22" stehen. Alle atmen auf und klatschen so heftig Beifall, dass der umgekippte Schreiberling langsam wieder zu sich kommt.

"Das war großartig!", jubelt ein Mann in adrettem Anzug und Zylinder. Er stolziert wie ein Zirkusdirektor durch seine Manege und schnappt sich den Zettel vom Pult. "Sehr beeindruckend", murmelt er während er die zittrigen Zeilen überfliegt und ihn dann an einen herbeigeeilten Assistenten weiterreicht, der sich darauf einige Notizen zum Teilnehmer und der erzielten Zeit macht.

"Weitermachen!", ruft der Zirkusdirektor den anderen Kandidaten zu und wendet sich schließlich einem kleinen Grüppchen wartender Journalisten zu, die das Geschehen bereits einige Zeit wortlos, aber stirnrunzelnd verfolgen. "Ich freue mich, dass sie so zahlreich erschienen sind, um mit dabei zu sein, wenn wir hier wirklich Großes erschaffen.

Ich bin Julius Stolzenberg, der Veranstalter dieses lyrischen Wettkampfs." Dann beginnt er zu schwärmen, von der Kunst des Dichtens im Allgemeinen und auch von seiner ganz besonderen eigenen Vision.

"Atemlos, aber nicht sprachlos" lautet das Motto der von Stolzenberg ausgerichteten "1. Internationalen Weltmeisterschaft der Apnoelyriker", bei der es darum geht, an die Grenzen der Poesie vorzustoßen und diese auch zu überwinden.

Dazu gilt es, mit einem einzigen Atemzug so viel lyrische Kraft aufzusaugen, dass man sie in einem Fluss aus Reimen ungefiltert und ungeschönt zu Papier bringen kann. "Und genau das haben Sie soeben selbst erlebt, meine Damen und Herren!"

Der eben erst umgekippte Randolf Wagebrecht aus Erfurt habe sogar einen neuen Rekord aufgestellt. Stolzenberg schnippt seinen Assistenten mit dem Zettel herbei. "Hier, das ist das phänomenale Ergebnis!" Er fängt an, laut vorzulesen:

In Anbetracht gleitender Ruhe simpel, Kondomlizenz im Prachtgewand / Dennoch fortschreitend unangenehm - ein Körper zerbarst / Kollateral besänftigt, schreit angewidert die Hormongestalt im Rübenhaus: / Sein Gas kann Hummeln binden! / Wie Sand im Getriebe der Marderwand

Er blickt vom Zettel hoch und grinst die Journalisten zufrieden an. "Und das sind nur die ersten beiden Strophen, es wird noch viel besser!" Betretenes Schweigen macht sich in der Runde breit. Ob so etwas nicht aufs Gehirn gehe, will schließlich ein Reporter von der Zeit wissen.

"Auch nicht mehr als das, was Sie so schreiben", konterte der Direktor beleidigt. Der Reporter blickt verschämt zu Boden und schweigt wieder. "Sonst noch Fragen?", herrscht der Direktor die verbliebenen Journalisten an. "Dann ist ja gut, auf zur zweiten Runde!"

Nebenan steht eine weitere Disziplin an: "mono-exhalatorische Rezitation", oder kurz gesagt: "in einem Zug vorlesen". Per Los wird zunächst entschieden, wer das Gedicht welches Autors vorträgt, dann nimmt man Aufstellung, atmet einmal kräftig ein, bis sich die Lungenflügel schmerzhaft blähen, und lässt den Wortschwall gewaltig auf das Publikum niedergehen, das extatisch die Poesie aufsaugt.

Knut Federbein aus Salzgitter beginnt mit dem in knapp zwei Minuten verfassten Werk "Fleischwurst" von Ute F. Waxmann, Itzehoe:

Peter hört den Hubraum blasen, Hilde tropft. / Knotenweise nicht besonders, immerhin beliebt am Ort / Rippenbart der Kosmonauten - Ding-Dong!, schreit der Feldmarschall. / An Rotz erkrankt die Fleischwurst, stank niemals mehr als unverlangt / Und wehe, wer sich dir verspricht, anzugtragend erfüllt er die Pflicht: / Riesendödel, du bist fest, stoß die Amsel in ihr Nest!

Nach drei Strophen ist Schluss und Knut sackt schnaufend in sich zusammen.

Das sei doch alles Quatsch und infantiles Gestammel, erbost sich eine aufgebrachte Kulturredakteurin der Bild: "Sie wollen uns wohl verarschen!" - "Ganz im Gegenteil", fällt ihr Stolzenberg ins Wort: "Lyrik kann erst dann wahrhaftig rein sein, wenn man sie von der Gravität des Sinns befreit."

Darüber muss die Redakteurin erst einmal etwas nachdenken. Stolzenberg schnippt erneut seinen Assistenten herbei, der artig eine Flasche Asbach entkorkt. "Das wird Ihre Nerven beruhigen", verspricht Stolzenberg, "und das Verständnis für Lyrik erhöht es auch ungemein."

Dann hupt es plötzlich wieder und der Veranstalter enteilt, um den neuen Weltrekordhalter, den Ruhpoldinger Poeten Rolf-Ralf Schimmelhuhn, aus dem Lyrik-Koma zu holen.

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kari

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