Die Wahrheit: Verpackt statt nackt
Besuch im Mekka der publizistischen Verhüllungen.
Kaum waren die Schnittchen im Foyer der neu erbauten Baron-von-Münchhausen-Akademie in Bodenwerder weggeputzt, begaben sich die frisch eingeschriebenen Jungjournalisten in die Seminarräume der ersten deutschen Schule für angewandten Verhüllungsjournalismus. Unter der Ägide fast aller namhaften Pressehäuser und Verlage werden die rund 50 ausgewählten Nachwuchskräfte dort nun ihrem Handwerk in einer besonders zeitgemäßen Weise nachgehen. Anstaltsleiter Wernfried Bause hatte es in seiner Festrede mit letztmalig klaren Worten zum Ausdruck gebracht: "Wenn uns die moderne Kunst im Stile von Christo und Niki de Saint Phalle eines gelehrt hat, so ist es dies: Die Menschen nehmen Fakten umso lieber auf, je verhüllter sie sind. Nicht die rohe Präsentation lockt den Betrachter an, sondern die würdige Verpackung. Sie ist der "geheime Verführer", worauf auch schon der Werbetheoretiker Vance Packard hingewiesen hat, der eben nicht umsonst so hieß. Nennen wir diese Stilrichtung also getrost nach ihm "PackArt". Denn was an Fakten oftmals so abstoßend wirkt, ist ihre Stimmigkeit. Wen aber interessiert denn noch, was alle wissen? Der Verhüllungsjournalist interessiert sich da lieber für das Produkt hinter dem Vorgang, der nun ein Vorhang ist."
Der lang anhaltende Beifall der Eröffnungsgäste ging danach in solch heftiges Kopfnicken über, dass man sich fast auf einer Tagung von Parkinson-Betroffenen wähnte. Ex-Ifo-Chef Hans-Werner Sinn verstand es an seinem Bistrotischchen sogar, die Ausführungen Bauses börsentechnisch zu untermauern. Da Wirtschaft wesentlich ja Psychologie und das Kapital ein scheues Reh sei, gab er "sinngemäß" zu verstehen, gebe es keinen Grund, nicht auch mit Fakten psychologisch umzugehen. Auch diese seien nur der Wurmfortsatz von Meinungen, die eben nicht verantwortungslos von Unbefugten geäußert werden sollten. Nachdem die Umstehenden auch davon schwer beeindruckt schienen, ließ der Wirtschaftsklimaforscher kurzerhand einen Klingelbeutel herumgehen und sich sein persönliches Vortragshonorar auszahlen.
Als sich wenig später die Pulks der Presse- und Wirtschaftskapitäne etwas gelichtet haben, nutzen wir die Gelegenheit, vom Akademiechef Bause doch noch ein paar Restfakten aufzugabeln. Wir wollen schließlich zu gern wissen, wie diese zeitgemäße Form des Journalismus in Zukunft funktionieren wird, und bitten um ein paar Beispiele. Akademieleiter Bause legt los: "Nehmen Sie etwa die gestiegenen und weiter steigenden Baukosten bei der Hamburger Elbphilharmonie! Warum sollten sich die Planer dafür auch noch schämen. Ich kann mich an kein vergleichbares Projekt erinnern, das schon in der Bauphase zu einem derartigen Wertzuwachs geführt hat. Das sind bleibende Werte, die ansonsten in irgendwelchen Personalbudgets versanden wären. Entsprechend müsste also eine Schlagzeile das Augenmerk auf das Positive legen: ,Elbphilharmonie legt Investitionen nachhaltig an den Anker' - oder so ähnlich."
Während Bause seine Ausführungen mit großen Gesten unterstützt, die ihn gleichsam zum Chefdirigenten der neuen Konzerthalle prädestinieren, ist ihm sein blaues Jackett aufgesprungen und legen ein zitronengelbes Hemd frei. Das bringt uns auf die Frage, wie er sich eine Schlagzeile über die Lage der FDP vorstellen würde. Fast so, als ob er wieder damit gerechnet hätte, schließt er sanft die Augendeckel und hat den Aufmacher schon auf den Lippen: "Das 18-Prozent-Projekt ist auch unter minimalen Kommaschwankungen lebendig!" Während er dabei leicht ins Hüpfen kommt, entfährt ihm noch die Kurzbemerkung: "Das ist Faktensport, meine Herrschaften!"
Damit bringt er uns auf die letzte Frage, nämlich die nach Sportergebnissen im weitesten Sinne und wie Verhüllungsjournalismus etwa mit dem Abstiegsplatz des Hamburger SV umgehen würde. Die Frage legt sich einfach nahe, weil auf Bauses Hemd auch die schwarz-weiß-blaue Raute prangt, das Vereinslogo des HSV. Auch dabei geht der Hanseatenfan keineswegs in Sack und Asche, sondern findet erneut den stilistischen Ausweg: "Nennen Sie mir einen anderen Verein, der von Anfang an in der Bundesliga gespielt hat! Es spricht also alles für eine Topnachricht, zum Beispiel diese: "Der HSV verteidigt auch in diesem Jahr sein Premiumetikett unter den Best of Eighteen!"
Danach bleibt uns nur noch, im Schutze unserer Burka vergleichsweise unverhüllt aus dem Mekka der Verhüller in die Realität zu verflüchtigen.
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