Die Wahrheit: Namen sind Prall und Schlauch
Eine olle Kamelle aufwärmend erinnerte ich mich an die schlichte Erkenntnis, dass die Wirklichkeit oft seltsamer ist als jede Fiktion. Ob das Folgende dafür ...
E ine olle Kamelle aufwärmend erinnerte ich mich an die schlichte Erkenntnis, dass die Wirklichkeit oft seltsamer ist als jede Fiktion. Ob das Folgende dafür maßgeschneidert ist, lasse ich offen. Auch scheint es eine premiumjournalistische Richtlinie zu missachten, die besagt, mit Namen dürfe man keine Scherze treiben. Tu ich gar nicht.
Seit je zerrt der Name der Hauptfigur in Nabokovs großartigem Roman „Lolita“ an meinen Nerven. Humbert Humbert heißt er. Wie supi ist das denn?, um es mit Fiona zu sagen, einer Hauptfigur aus Frank Schulz’ großartigem Roman „Onno Viets und der Irre vom Kiez“.
Mein Unmut über den doppelten Humbert lagert jedoch weitab von einer Tatsache, die der Blick in mein Adressbuch offenbart. Längst hatte ich daraus in einer Kladde die bildhaftesten Familiennamen aufgereiht. Dank des Kiez-Romans, in dem Onno und seine Frau mit Namen Kombinationspirouetten drehen, erlaube ich mir, den Zettel hervorzuklauben, getreu einer verhängnisvollen Konsequenz der Zaghaftigkeit: Wenn er das darf, gestatte ich es mir auch.
Aus dem Freundeskreis drängen sich auf: Weichbrod, Krauskopf, Strohschein, Kuhfuß. Sollten aus diesem Konvolut nun Hochzeiten entspringen – reine Fiktion, versteht sich –, hätte ich zwei Favoriten: Aus Krauskopf-Kuhfuß würde sich ein Paar bilden, das als Ganzkörperporträt keine Konkurrenz zu scheuen braucht. Und Strohschein-Weichbrod? Würde ein Lektor vermutlich streichen.
Nun aber schleiche ich lieber weg von der riskanten Spielerei und anderswo hin, freilich nahebei, nämlich zu dem Umstand, dass es mutmaßlich armselig ist zu zaudern. Oder, um es mit Felicitas Hoppe zu sagen, deren ebenfalls großartiger Roman „Hoppe“ jetzt erschienen ist: „Wer zögert, verliert.“
Wer sich nämlich stets genötigt fühlt, Vorsicht walten zu lassen, gewissermaßen einer Autorität bedarf, um zuzuschlagen, der wird selten vorrücken. Das hat die Bestseller-Autorin Joy Fielding, von der ich keinen Roman gelesen habe, schon als Zwölfjährige begriffen. Sie schrieb damals ein Drehbuch über eine Zwölfjährige, die ihre Eltern umbringt: „Die Geschichte wird zwar abgelehnt, ihre Eltern haben jedoch schlaflose Nächte.“
Etwa in dem selben Alter hatte mich Otto Waalkes’ Stückchen von dem Bauernjungen gepackt, den ein Versicherungsvertreter anredet, er wolle dessen Vater sprechen. Der sei vom Trecker überfahren, sagt der Junge. Mutter? Dito. Wie die Geschwister und die Großeltern. „Und was machst du den ganzen Tag?“ – „Trecker fahrn.“
An einer Art Kopie dieser Geschichte kritzelte ich endlos herum, doch im Stil von Stephen King; verlegte sie in die Straße, wo wir wohnten. Es mangelte an Mut, sie wie Joy Fielding abzuschließen, anzubieten. Ich mag befürchtet haben, die Familie würde nicht zwischen Autor und Hauptfigur unterscheiden. Den Eltern schlaflose Nächte zu verschaffen, hätte mich in die Hölle verbannt. Die lachten sich schlapp, als ich es gestand. Und mein erster Roman – großartig, versteht sich – ist verschollen.
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