Die Wahrheit: Kein Blut für Tampon-Tee
So wie in jedem Jahr, so hat auch in diesem Frühling für mich die Zeit der Feldexkursionen begonnen. Mein erstes Ziel war die kleine, subtropische Insel Gulangyu.
S o wie in jedem Jahr, so hat auch in diesem Frühling für mich die Zeit der Feldexkursionen begonnen. Mein erstes Ziel war die kleine, subtropische Insel Gulangyu, die zum Stadtgebiet von Xiamen im Süden Chinas gehört. Hier wollte ich die allerneuesten Urlaubstrends der chinesischen Mittelklassejugend untersuchen. Die Insel ist nämlich bei exakt dieser Zielgruppe außerordentlich angesagt.
Der fetteste Trend war bereits gleich bei meiner Ankunft auszumachen. Er lautet: romantisch sein. Vor allem junge Frauen schienen dazu höchst entschlossen. Viele trugen romantische lange Batikkleider oder Tutus aus Tüll oder Nylon, die Köpfe mit Strohhüten bedeckt, die bunte Bänder oder pinkfarbene Plastikblumen zierten.
Dazu wurden durch die gläserlosen Brillen möglichst kullerige Audrey-Hepburn-Augen gemacht, die vorbehaltlos jedes noch so banale Ding auf der Insel (Ziegelstein, Pfosten, Trafokasten) bestaunten. Diese Romantikbomben gingen nicht; sie trippelten, und wenn sie standen, zeigten ihre Fußspitzen nach innen.
Auch die Insel selbst liegt im Romantiktrend, und das schon seit mehr als hundert Jahren. Damals hatten vornehmlich westliche Kolonialherren Gulangyu mit europäischer Architektur vollgestellt. Diese Gebäude sind in den letzten Jahren romantisch aufgepeppt worden, mit plüschigen Cafés und schnuckeligen Restaurants.
Ewige Romantik festgehalten auf Polaroid
Deren Wände hat man mit bunten Haftnotizzetteln tapeziert, auf denen sich romantische Urlauber gegenseitig ewige Romantik schwören. In den Schaufenstern der kleinen Inselläden standen betagte Fernseher, Polaroidkameras und Schreibmaschinen aus der guten alten Zeit, als man noch voll mechanisch tippitippi machte.
Verkauft wurden diese Sachen aber nicht, sondern ausschließlich echter Romantikbedarf wie Plüschbären, Holzhäschen, Plastikschlümpfe und Nussknacker aus dem Erzgebirge. Noch echtere Romantikfreaks erwarben obendrein kleine Heftchen voller Tuschezeichnungen. Die waren zum Abstempeln auf einer Art Schnitzeljagd quer über die Insel gedacht; zum Beispiel mit romantisch roten Mao-Stempeln.
Am wichtigsten jedoch war es, für alle Dinge romantisch viel Geld auszugeben, so wie in den Hauptstädten der Romantik, Rom oder Paris. 3,50 Euro kostete deshalb eine kleine Tasse Pulverkaffee oder mehr als 2 Euro ein „Specialty Tampon Milk Tea“. Weshalb der so hieß? Ich vermutete, ebenfalls aus romantischen Gründen, schließlich gibt es ja wohl kaum etwas Romantischeres, als ein mit dem Regelblut der Liebsten durchwirktes Getränk zu schlürfen.
Doch als meine Dolmetscherin bei der Bedienung nachfragte, war es bloß ein schwarzer Tee mit Milch und Zucker, der angeblich nach dem „Tampon“ genannten Golden Retriever des Hauses hieß.
Ich war nicht nur enttäuscht, sondern auch empört. Zerstört nicht ein solcher Hund mit einem Schlag jedwedes romantische Gefühl? Ich denke schon. Wir jedenfalls verließen stante pede die Insel. Und kommen erst wieder, wenn man „Tampon“ erschossen oder besser noch: gegessen hat.
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