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Die WahrheitZugemüllt

Kolumne
von Michael Sailer

Schwabinger Krawall: Zu den wenigen Aufgaben, die Herr Hammler als Exhausmeister weiterhin verrichtet, gehört es, jeden Freitag früh die Aschentonnen aus dem Hof zu rollen ...

Z u den wenigen Aufgaben, die Herr Hammler als Exhausmeister weiterhin verrichtet, gehört es, jeden Freitag früh die Aschentonnen aus dem Hof zu rollen. Auf die Einwände seiner Frau, wozu er sich das antue, zumal er davon jeden Samstag einen Hexenschuss kriege und den ganzen Tag grummelig sei, geht er nicht ein.

Nachdem er dreimal die Tonnen nicht ordnungsgemäß in der Einfahrt abstellen hat können, weil dort ein Cabriolet parkiert war, wird es ihm zu bunt. Aus einem Stück Pappendeckel bastelt er eine Schablone und pinselt „Einfahrt freihalten“ aufs Trottoir. Am Freitag steht der Sportwagen wieder da, mit dem Vorderrad auf der Beschriftung. Herr Hammler verbringt den Vormittag damit, zwischen Keller, Hof und Wohnung hin und her zu laufen, und legt sich schließlich erschöpft zum Mittagsschlaf aufs Sofa.

Als Frau Hammler vom Einkaufen kommt, ist der Innenraum des Cabriolets mit einer aufgeplatzten Mülltüte, leeren Büchsen und Flaschen, Kaffeesatz, Gemüseresten, Fischgräten, Hühnerknochen, Orangenschalen und anderen Abfällen gefüllt. Fassungslos daneben steht die alte Frau Reibeis und sagt, das werde ja immer bunter. In der Wohnung findet Frau Hammler ihren Mann am Fenster, wie er triumphierend grinsend einen Herrn beobachtet, der fluchend Müll aus dem Auto zur Tonne trägt. Jetzt, erklärt er, habe er trotz Hexenschuss Lust auf eine Spazierfahrt.

Kaum aufs Rad gestiegen, stellt er fest, dass in seinen Reifen zwei Metalldrähte stecken und der Sattel mit einer übelriechenden Substanz imprägniert ist. Dann fällt ihm ein kleiner roter Plastikbeutel mit weichem Inhalt auf den Kopf, und nachdem seine Frau festgestellt hat, es handle sich bei dem einen um Hundekot, bei dem anderen um verfaulte Buttermilch und das habe er jetzt davon, brüllt Herr Hammler, er lasse sich weder vergiften noch anscheißen, sondern werde sich diese Bagage „kaufen“. Frau Hammler seufzt und heizt das Badewasser vor.

Während Herr Hammler vor dem Haus gefüllte Beutel aufklaubt und in einem Kübel sammelt, bemerkt er, dass ein paar Meter weiter Frau Reibeis derselben Tätigkeit nachgeht. Sie, sagt sie, lasse sich viel gefallen und habe eineinhalb Weltkriege überlebt, aber dass ein ehrenamtlicher Stadtrat, der ihr zum 95. Geburtstag einen Geschenkkorb gebracht habe und seither jeden Freitag zum Kaffee komme, sich mit Abfällen bombardieren lassen müsse, das nehme sie nicht hin, sondern werde dieser Bande von Lausbuben zeigen, wo der Bartl den Most holt. Ihre Frühstücksdickmilch und ein paar Haarnadeln habe sie bereits geopfert; um so lobenswerter sei es, dass Herr Hammler ihr Anliegen unterstütze.

Als seine Frau fragt, wie die leidige Affäre ausgegangen sei, brummelt Herr Hammler, er wolle von so einem Schmarrn nichts mehr hören, legt sich aufs Sofa und kuriert seinen Hexenschuss, der jedoch diesmal so hartnäckig ist, dass er am nächsten Freitag auf das Herausrollen der Tonnen verzichtet, weil das sowieso schon lange nicht mehr seine Aufgabe sei.

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