Die Wahrheit: Im Jahr des Drachen: Der Handschlag
Heute geht im Pekinger Nationalen Kunstmuseum die Ausstellung „Konstruktivismus in Europa“ zu Ende.
H eute geht im Pekinger Nationalen Kunstmuseum die Ausstellung „Konstruktivismus in Europa“ zu Ende. Es war eine außergewöhnlich schöne Ausstellung, auf der etwa 130 Werke hauptsächlich früher sowjetischer Künstler wie Alexander Rodtschenko, Kasimir Malewitsch oder Wladimir Tatlin gezeigt wurden. Die Bilder gehören dem Deutschen Gerhard Cromme, der sie dem Pekinger Museum kurzfristig ausgeliehen hatte.
Bei einem Empfang nach der Ausstellung schüttelte ich Herrn Cromme die Hand. Ich fand ihn sehr sympathisch. Die maßgeblichen deutschen Wirtschaftsmagazine zeichnen allerdings ein ganz anderes Bild. Hier wird der „mächtigste Aufsichtsrat Deutschlands“ (Siemens, ThyssenKrupp, Allianz, Springer) als „Machtmaschine“ (Capital) bezeichnet, die „am Rande der Brutalität“ (Ex-Mercedes-Chef Werner Niefer) agiert und losgeht „wie ein Panzer“ (Ex-Bild-Vize Hans-Erich Bilges in Focus). „Cromme“, schreibt die Wirtschaftswoche, „wird praktisch alles zugetraut.“
Das mag daran liegen, dass er bereits „praktisch alles“ gemacht hat. Als Krupp-Chef führte er ab 1987 in Duisburg-Rheinhausen den „brutalsten Arbeitskampf der vergangenen Jahrzehnte“ (Capital), bei dem am Ende mehrere tausend Leute ihren Arbeitsplatz verloren. Mit Hoesch wird von Krupp unter Cromme erstmals in Deutschland eine Firma feindlich übernommen. Von Korruption und schwarzen Kassen bei Siemens hat Cromme dagegen nichts gewusst, obwohl er in der fraglichen Zeit Chef des Prüfungsausschusses war, dem Gremium, das angeblich solche, äh, Unregelmäßigkeiten verhindern sollte. Zur selben Zeit leitete der Mann eine Kommission der Bundesregierung für gute Unternehmungsführung.
ist Kolumnist der Wahrheit. Seine Geschichten sind auch als Buch erschienen.
Im Jahr 2010 sorgt der „heimliche Herrscher im Hintergrund“ (Wirtschaftswoche) dafür, dass Peer Steinbrück in den Aufsichtsrat von ThyssenKrupp einrückt, weil, wie die WiWo vermutet, dieser Mann „vielleicht irgendwann einmal Kanzler“ wird. Im August desselben Jahres unterzeichnet wiederum Cromme einen öffentlichen Appell, in dem er mit anderen die Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke propagiert. Am 28. Oktober 2010 wird daraufhin vom Bundestag der weitere Betrieb der Meiler für durchschnittlich zwölf Jahre genehmigt. Erst ein Unfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima bringt das Gesetz zu Fall.
Für all seine Aktivitäten erhielt Cromme, schreibt das Manager Magazin, allein im Jahr 2011 bescheidene 1.009.000 Euro. Etwa zur selben Zeit erzählte er der Süddeutschen: „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.“ Richtig gelesen: „Wir.“
Beim Empfang in Peking erklärt eine deutsche Journalistin einer Besucherin der Hauptstadt, sie halte das „politische System Chinas für total verrottet“. Ich sage nichts. Und freue mich im Stillen, dass ich einem der vornehmsten Vertreter meines blütenfrischen, durch und durch demokratischen und zivilgesellschaftlich geprägten Ursprungslandes die Hand geschüttelt habe. Doch wirklich, Herr Cromme ist sehr nett.
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