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Die WahrheitZurück in die Steinzeit

Im Jahr des Drachen: Ich hatte mir vorgenommen, an dieser Stelle nichts zu dem chinesischen Autor Liao Yiwu zu sagen ...

I ch hatte mir vorgenommen, an dieser Stelle nichts zu dem chinesischen Autor Liao Yiwu zu sagen, der seit rund einem Jahr im Berliner Exil lebt. Zwar hatte ich schon in seinem Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ viel Fragwürdiges gelesen. Ich mochte aber keinen Mann kritisieren, der allein wegen eines Gedichts vier Jahre in einem chinesischen Gefängnis eingesperrt war.

Dass Liao hier jetzt trotzdem Thema ist, liegt an der Rede, die er anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche gehalten hat, und bei der ich im Publikum saß. Diese Rede war – wie sagt man auf Deutsch? Genau: – entsetzlich.

Geschenkt ist, dass sie vor Widersprüchen strotzte. So sagte Liao, dass man im Westen „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit genießt“, um gleich im nächsten Absatz zu erklären, dass es „im demokratischen Westen weder Gerechtigkeit noch Gleichheit gibt“. Auch darüber, dass er ganz China als „größte Müllkippe der Welt“ bezeichnete, könnte man hinwegsehen.

Bild: privat
Christian Y. Schmidt

ist Kolumnist der Wahrheit. Seine Geschichten sind auch als Buch erschienen.

Problematischer ist schon, dass er von einem „Wertesystem des Drecks“ in China sprach, „das den Profit über alles stellt“, und die chinesische Reformpolitik beklagte, „die uns lehrte, statt unser Land das Geld zu lieben“, sowie den Ausverkauf des Landes an ausländische Investoren. Das ist der Antikapitalismus der dummen Kerls, der Blut-und-Boden-Heinis, die glauben, kapitalistischer Ausbeutung und Umweltzerstörung sei mit mehr Vaterlandsliebe zu begegnen.

Wirklich furchtbar aber war die mehrmals und ausgerechnet auf Deutsch wiederholte Forderung, dass China auseinanderbrechen müsse: Erst einmal entlang seiner ethnischen Grenzen, am besten aber noch einmal in viel kleinere Einheiten, in denen „die Leute alt werden und sterben, ohne sich je besucht zu haben“.

Dieser Satz – ein 2.500 Jahre altes Zitat aus dem „Daodejing“ – ist nichts weiter als ein Plädoyer für die Rückkehr zur Stammesgesellschaft, in der Fremde nur als Gast geduldet werden. Er dürfte auch bei den Taliban großen Anklang finden. Jedenfalls herrscht überall dort auf der Welt, wo versucht wird, diese „Utopie“ (Liao Yiwu) zu realisieren, Mord- und Totschlag.

Gut, ich gebe zu: Schockiert hat mich weniger, dass Liao diese Vernichtungsfantasien in der Paulskirche verbreitete. Angesichts seiner persönlichen Geschichte ist das eventuell zu begreifen.

Auch dass Joachim Gauck der Hassrede viel Beifall zollte, war zwar bizarr und verlogen – schließlich unterhält das Land, dessen Oberhaupt er ist, eine „strategische Partnerschaft“ mit dem chinesischen „Müllhaufen“ –; dennoch war von diesem Mann nichts anderes zu erwarten. Wirklich entsetzt aber hat mich, dass das Publikum in Frankfurt – darunter auch ansonsten recht vernünftige Menschen – diesem reaktionären Gerede geschlossen stehende Ovationen zollte.

Diese Leute frage ich: Wollt Ihr wirklich zurück in die Steinzeit? Oder gilt das ausschließlich für China? (Bitte nur mit Rauchzeichen antworten.)

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10 Kommentare

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  • J
    justrecently

    Danke für den Tipp, Herr Schmidt.

     

    Neru: Kubin ist ein ruhiger und sachlicher Vertreter. Dass allerdings Ai Weiwei oder Liao Yiwu Künstlern der "Zwischentöne" die Schau stehlen, liegt nicht in ihrer Verantwortung. Das ist eine Frage der Rezeption - eine Verantwortung des Publikums. Übrigens hat Kubin selbst in einem anderen Interview einmal darauf hingewiesen, dass chinesische Intellektuelle einander nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen - und das habe "eine lange Tradition". (Die Zeit", online seit 26.04.11 ("Das Schwarz-Weiß-Denken muss ein Ende haben".)

     

    Welchen Preis Ai Weiwei oder Liu Yiwu allerdings für ihren Bekanntheitsgrad zahlen, nötigt mir Respekt ab. Diese Sätze Kubins weniger: "... zwei Regeln: du redest nicht mit ausländischen Journalisten schlecht über uns, und die andere ist, du verabredest dich nicht mit irgendwelchen Leuten, um uns zu stürzen."

     

    Für Kubins chinesischen Bekanntenkreis mag es (widerruflich) zutreffen, dass "alles andere" erlaubt sei (Nebensatz: man dürfe sich nur nicht erwischen lassen). Aber sein Argument, "Fahrräder abstellen verboten" werde missachtet, ist im Kontext der Menschenrechte, sagen wir mal, euphemistisch. Und leider nicht untypisch.

  • B
    Besserwessi

    Achtung, Achtung, folgender KOmmentar wurde gestern von der TAZ einkassiert. Unsere Meinungsfreiheit wird nochmals wo verteidigt ?

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    Auhwei, bzw.“AoWai“, wie der Chinese sagt.

    CYS macht in der Rubrik “Die Wahrheit“ wieder auf intelektuell.

     

    Da in China ja nun wahrlich schon genug geraucht wird und in der bleiverhangenen Pekinger Luft Rauchzeichen sowieso unmöglich zu sehen sind,

    schreibe ich meinen Senf hier im Kommentarbereich.

     

    1. Herr Liao ist erst gut ein Jahr im freien Westen, dass er da so einiges noch nicht hinterschaut und vieles idealisiert, sich dabei auch in Widersprüche verstrickt, war abzusehen.

     

    2. Ein Wertesystem des Drecks, das den Profit über alles stellt.

     

    Meiner Meinung nach geht es hier nicht um Kapitalismuskritik, sondern ganz vorrangig um den moralischen Werteverfall in der chin. Gesellschaft.

    Man muss hierbei bedenken, dass heutzutage nicht nur Hemden oder Jeans gefälscht werden, um schnell und einfach an Kohle zu kommen, sondern es gibt auch grosse Probleme im Nahrungsmittelbereich.

    Als Stichworte seien hier genannt; der Melaninskandal

    ( Melanin in der Milch und im Milchpulver, mehrere Kleinkinder verstorben )

    sowie die Speiseölwiederaufbereitung in Hinterhöfen.

    Auch gefälschte Medikamente sind zuhauf auf dem Markt.

    Kurzum, Dreck wird buchstäblich zu Gold gemacht ohne Rücksicht auf menschliche Verluste.

     

    3. Die chinesische Reformpolitik ,die uns lehrte, statt unser Land das Geld zu lieben

     

    Ich denke, hier beklagt Herr Liao, dass ehemals wichtige spirituelle Werte, die vor der Wirtschaftsreform dem Volk eingeimpft wurden, vollkommen auf der Strecke geblieben sind.

    Statt die Vaterlandsliebe als Beispiel aufzuführen, hätte er auch das Propaganda- Märchen über Lei Feng nehmen können. Lei Feng, der gute Soldat, der sich angeblich für andere so selbstlos aufgeopfert hat, und dem das Volk nacheifern sollte.

     

    Herrn LIao also als Blut-und-Boden-Heini einzustufen und sonstige (krude) Thesen aufzustellen halte ich daher für falsch und auch für etwas gewagt.

     

     

    4. Die Forderung, dass China auseinanderbrechen müsse.

     

    Als von Ihnen enttarnter Blut-und-Boden-Heini würde Herr Liao das bestimmt nicht mehrfach fordern. Wie passt das denn zusammen ?

     

    Zweitens, in anderen dt. Medien habe ich Formulierungen wie „dieses Imperium muss auseinanderbrechen“ gelesen.

     

    Nun kann ich mir gut vorstellen, dass in seiner Rede das Imperium / das jetzige China auch eine Metapher für die KP sein konnnte, die ja die alleinige und absolute Macht hat, eben wie ein Imperator.

     

    Wenn er aber in seiner Rede das Land gemeint hat, so orientiert Herr LIao sich sehr wahrscheinlich an historischen Paralellen und an innerchinesischen Realitaten und Reibungspunkten.

     

    Beispielsweise versucht die Zentralregierung in Peking seit geraumer Zeit

    die kantonesische Sprache in Funk und Fernsehen der Provinz Guangdong einzuschranken. Dagegen gab es sogar Demonstrationen auf der Strasse.

    Dazu muss man wissen, dass die “Provinz“ Guangdong über hundert Millionen Einwohner hat und ca. 1/3 des chin. BSP erwirtschaftet.

    Hongkong liegt gleich nebenan und bietet sich geradezu als neue Hauptstatdt an.

     

    Oder die “kleine Lösung“ mit zwei neuen Stadtstaaten Hong Kong und Schanghai.

    Die Menschen in Schanghai und Umgebung haben auch ihre eigene Sprache, einen unheimlichen Regionalstolz und würden als hochindustrialisierter Stadtstaat sicherlich besser fahren.

    Meinetwegen noch Tianjin ( Tientsin ) als neuer Stadtstaat dazu, ist sowieso schon

    eine direkt verwaltete Stadt innerhalb Chinas ( so ahnlich wie HH, HB, und Berlin) und hat schlappe zehn Millionen Einwohner.

     

    Also, wenn sich da nichts aufbraut, wenn sich die Zügel lockern.........

     

    Letztendlich gehe ich davon aus, dass Herr Liao bei der Formulierung seiner deutsche Rede auf fremde Hilfe angewiesen war.

    Wie akribisch und qualifiziert diese Hilfe war, kann nur vermutet werden.

    Wie Sie ja wissen, haben die meisten chin. Wörter mehrere Bedeutungen.

    So kann das Wort 要 (Yao ) u.a. “muss“, “soll“ ,“wollen“ als auch “wird“ bedeuten.

    Muss oder soll China nun auseinanderbrechen oder wird es wahrscheinlich auseinanderbrechen ?

     

    Und Allerschlussletztendlichst, dass Gauck & Konsorten klatschen, war doch klar.

    Ist doch alles nur eine grosse Selbstbeweihräucherungsshow.

  • B
    balea

    Ich hoffe mit der selben Emphase wird CYS auch ueber die naechste grosse Preisverleihung der KP China berichten - an ihn selbst.

  • NK
    Neru Kaneah

    Nu aber mal halblang - nicht gleich alle auf Deutschlands zweitliebsten Dissidenten. Wolfgang Panadaknutscher Kubin kloppt in eine aehnliche Kerbe. http://gffstream-7.vo.llnwd.net/c1/m/1350322704/radio/politikum/wdr5_politikum_20121015.mp3

     

    Irgendwer schrieb mal ueber eine Rede von Mr. Liao, es habe gewirkt, als habe dieser zu viel heisses Kraut geraucht.

  • A
    anke

    @CYS: Ich bin begeistert! Ein taz-Journalist liest die Kommentare seiner Leser nicht nur, er reagiert sogar darauf! Und damit nicht genug. Er hilft den Leuten sogar mit einer Nummer auf die Sprünge! So ungefähr stelle ich mir LiquidFeedback im Medien-Bereich vor. Sollte ich den Glauben an die Menschheit also doch noch nicht aufgeben?

  • C
    CYS

    justrecently, das würde ich gerne machen, nur habe ich natürlich nicht die Rechte an Liaos Rede. Aus rechtlichen Gründen ist die Rede auch nirgendwo komplett online.

     

    So weit ich weiss, plant der Börsenverein allerdings, sämtliche Reden, die in der Paulskirche anlässlich der Preisverleihung gehalten wurden, als Buch herauszubringen. Das aber wird sicher noch ein paar Wochen dauern.

     

    Sollten Sie es eiliger haben, würde ich mich an die Pressestelle des Börsenvereins wenden, und um ein Exemplar des Textes bitten, der in der Paulskirche verteilt wurde.

     

    http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/445956/

  • J
    justrecently

    Vorschlag: wenn das urheberrechtlich möglich ist, stellen Sie doch einfach Liaos Manuskript hier ein, Herr Schmidt. Jedenfalls, wenn es zutrifft, dass die Anwesenden alle mitlesen konnten, also eine Kopie in der Hand hatten. Dann kann sich die Sache jeder selbst anschauen.

  • T
    tommy

    Die Wahrheit ist die Satireabteilung der taz, oder? Anders kann ich mir diese Apologie des chinesischen Imperialismus mit seiner teils recht brutalen Minderheitenunterdrückung nicht erklären. Manche der heutigen "Linken", die so schön "weltoffen" und "kosmopolitisch" sein wollen und überall "Blut und Boden" wittern, hätten vor 50 Jahren wahrscheinlich auch die Aufrechterhaltung der europäischen Kolonialreiche gefordert - die waren ja irgendwie auch ein Schritt hin zur "Weltgesellschaft".

  • MW
    mading wazi

    Hallo Y. Schmidt,

     

    klasse Kommentar. Kenne die Rede zwar nicht, aber wie Sie es schildern scheint es ja tatsächlich ziemlicher Mumpitz gewesen zu sein. Fräulein Hallo un der Bauernkaiser ist aber eigentlich ein gutes Buch.

     

    Mein bücherschreibender Lieblingschinese hat sogar schon einen Literaturnobelpreis und den zu Recht. Gao Xing Jian, Das Buch eines einsamen Menschen - ist wirklich mal top. Das geht es nähmlich auch viel um Sex während der Kulturrevoliution.

     

    Naja, ich habe offensichtlich auch nicht viel zu sagen. Nur: Bitte weiterschreiben Y.

  • KZ
    Kurt Z. Krass

    Wenn bei uns in Deutschland im Politik- Medien- oder Kulturzirkus wohlfeile (weil ohne Kosten oder Folgen zu habende) Reden von Verfolgten oder ähnlichen Leuten zu einigermassen harmlosen Anlässen wie dem "Friedenspreis des deutschen Buchhandels" gehalten werden, schalten doch die Profizuhörer auf "innere Welt" um. Nach einer Weile verstummt dann die elektrisch im Saal verteilte Stimme des Redners, und dann gilt: Je verfolgter, desto Ovation! Oppositioneller Chinese? Minutenlang! War 4 Jahre im Knast? Begeistert! Für ein Gedicht? Selbstverständlich stehend!

    Keine Sorge; zugehört, geschweige denn mitgedacht, hat ausser Ihnen, lieber Herr Schmidt, sowieso, wie immer, niemand.