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Die WahrheitEngländer in der Winterzeit

Engländer haben Angst im Dunkeln. ...

Engländer haben Angst im Dunkeln. Bei einer Umfrage kam heraus, dass zwei Drittel der Insulaner die Winterzeit hassen und am vorvergangenen Wochenende nur widerwillig ihre Uhren eine Stunde zurückgestellt haben. Ein Viertel der Befragten meinte sogar, man solle die Uhren im Winter vor- statt zurückstellen, damit es abends länger hell sei und man nicht befürchten müsse, überfallen zu werden. Sie haben recht: Was nützt es, dass es eine Stunde früher hell wird, wenn man noch im Bett liegt. Die Kinder können morgens ruhig im Dunkeln zur Schule gehen, den Weg sollten sie im Schlaf kennen.

Wäre es abends eine Stunde länger hell, würde ein knappes Fünftel der Engländer mehr Sport treiben. Dadurch würde auch die Fettleibigkeit bei Kindern reduziert. Das klingt geradezu, als ob große und kleine Engländer im Sommer über die Sportplätze hetzen und sich gertenschlank trainieren, während sie in Lethargie verfallen und adipös werden, sobald die Uhren umgestellt sind.

Die Winterzeit sei auch an der Rezession schuld, behaupten die Gegner. Die Leute verkriechen sich in ihren Häusern und geben kein Geld aus, außer für Heizöl. Herrscht dagegen das ganze Jahr über Sommerzeit, hätte man angeblich 235 zusätzliche Stunden Tageslicht im Jahr. Eine merkwürdige Rechnung. Sie stammt vermutlich aus Zeiten, in denen die Sonne im britischen Weltreich nie unterging, doch selbst damals hatten die englischen Könige keine Macht über die Drehung der Erde.

Das Argument, dass die ständige Sommerzeit umweltfreundlich sei, weil man weniger heizen müsse, ist genauso abenteuerlich. Glauben die Klotzköpfe, dass es automatisch wärmer wird, wenn man die Uhren auf Sommerzeit stellt? Eigentlich müssten sie es besser wissen, denn von 1968 bis 1971 hatte man in Großbritannien die Winterzeit abgeschafft. Die Schotten protestierten jedoch dagegen, weil es hoch im Norden erst gegen Mittag hell wurde.

Das Ehepaar Warren lebt nicht im Norden, sondern in Weston-super-Mare in Somerset. Die Warrens haben ihre eigene Zeitrechnung aufgestellt: Sie weigern sich seit sechs Jahren, ihre Uhren im Oktober zurückzustellen. Das sei gesünder, behaupten sie. Die Winterzeit habe bei John Warren stets Cluster-Kopfschmerzen ausgelöst. „Wir leben in der Zukunft“, meint Janys Warren. Interessant. Warum schaut sie nicht am Samstag die Ziehung der Lottozahlen, stellt die Uhr eine Stunde zurück und gibt geschwind einen Tippschein ab? Für die paar Minuten könnte John die Kopfschmerzen in Kauf nehmen.

Die permanente Sommerzeit hätte auch Vorteile für den Tourismus, glaubt Janys Warren. Fürchten sich die Touristen etwa auch im Dunkeln? Ihr wichtigstes Argument für ihre Weigerung, die Zeit umzustellen: Sie können bis zehn Uhr im Bett bleiben, während andere um neun Uhr aufstehen müssen. Die Warrens sind Rentner, sie könnten den ganzen Tag im Bett bleiben. Dann würden sie auch Heizkosten sparen. Der irische Satiriker Jonathan Swift hat nämlich geschrieben: „Das Wetter ist sehr warm, wenn man im Bett ist.“

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6 Kommentare

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  • R
    ruemont

    die unerträgliche uhrzeigerdreherei schafft nicht nur in großbritannien mehr kinderleid am morgen und abend und mehrkosten auf der ganzen linie. (mehr unfälle, herzanfälle usw.)

    wann wird dieser schwachsinn endlich abgeschafft?

  • I
    Ichschmeissmichweg

    @ Quirky

     

    Ohje. Nun hast Du mein Mitgefühl! Wenn ich nach zwei Wochen England (nicht GB, ich meine wirklich England) zurück in Deutschland bin, kann ich die "Wahrheit", also das wahre Leben, hier meist überhaupt nicht ab. Warum können Deutsche nicht so nett sein wie Engländer? Hier wird nichtmal morgens der Busfahrer gegrüßt, bei dem die Leute ihre Tickets kaufen...

     

    Ich muß ansonsten auch ganz schön britisch sein, denn ich mag die dunkle, kalte Jahreszeit überhaupt nicht. Übrigens ein Grund, weshalb ich in Norddeutschland bleibe: Wir haben relativ wenig Schnee (im Vergleich zu Restdeutschland) und die mit Abstand besseren Heizungen (im Vergleich zu allen mir bekannten Heizungen in England, wo ich sonst viel lieber wohnen würde...).

     

    Sei tapfer. Oder wie war das?: Keep calm and carry on!

  • Q
    Quirky

    Mein Kommentar war auch nicht ganz echt. Ich kenne den Kulturkreis ganz gut und muß mich hier erst wieder einleben. Die deutsche "Wahrheit" würde mich aber trotzdem mehr interessieren.

  • IB
    Isaac Bickerstaff

    Swifts Ratschlag, sich bei Kälte im Bett aufzuhalten, scheint autobiographisch gefärbt zu sein. Er schrieb: "Meine Hosen waren oft so dünn, dass ich auf einer Münze sitzen und sagen konnte, ob es Kopf oder Zahl war".

  • I
    Ichschmeissmichweg

    @Quirky

    Lieber Quirky,

     

    vielleicht warst Du noch nie in GB. Ich kann aus eignenen Erfahrungen nur bestätigen, daß es sich um ein schrulliges Völkchen handelt, das auch noch (mit Recht) stolz auf seine Schrulligkeit ist (vgl. beispielsweise die Geschichten "Der Doktor und das liebe Vieh").

     

    In GB hält man es als DeutscheR nur aus, wenn man selbst schrullig ist. Ich liebe das Land, die Leute und die netten Geschichten von Ralf Sotscheck.

     

    Dich würden sie dort wohl eher für einen humorlosen Deutschen halten. Mit dem sie dann ihre Späßchen treiben würden.

     

    Was Ralfs netter Beitrag mit der BILD zu tun haben soll, erschließt sich mir gar nicht. Siehst Du denn das Augenzwinkern nicht?

     

    Tschüß

    ISMW

  • Q
    Quirky

    Bei diesen Nachrichten aus UK/IRE scheint es immer nur darum zu gehen, die "Inselaffen", wie dort lebende Deutsche die Bevölkerung leider abwertend gerne bezeichnen, als schrulliges Völkchen zu präsentieren. Was soll das ? Ist das nicht was für die BILD - frage ich mich.