Die Wahrheit: Shitstorm per Fax
Das Kanzleramt als Trendsetter im Internet.
Zurzeit zwitschert vor allem ein Name aus den Schnäbeln der globalen Twitter-Szene: #Obama! Der neue alte Präsident der besten Nation der Welt überlässt hier aber auch nichts dem Zufall: Ganze Heerscharen kümmern sich um seine Reputation in den sozialen Medien, twittern wie ein Weltmeister.
Doch auch unsere megahippe Kanzlerin ist nicht untätig in Sachen Hashtag, Tweets und Following: Längst hat sie ein Social Media Reputation Center aufgebaut, es ist direkt dem Kanzleramt unterstellt. Auch architektonisch: Unser Ortstermin findet in einem Kellerraum tief unter dem Kanzleramt statt.
„Und hier auf diesem Bildschirm findet das sogenannte Monitoring statt“, freut sich Dr. Marc Salzberg. Der promovierte Facebook-Fan ist sichtlich stolz auf seine Einheit, wird in diesem Moment aber prompt von einer Sirene unterbrochen: „Oh, schon wieder ein Tweet, in dem unsere Kanzlerin eine Rolle spielt!“
Salzberg hastet zum Drucker. „Sobald hier was Relevantes ankommt, spuckt unser Printing Device das aus. Die Kanzlerin will höchstpersönlich über alles informiert sein – möglichst zeitnah!“ Mit geübter Bewegung entreißt er dem Drucker das Papier. „Ah ha! ,#Merkel nervt sooooooo, Kabinettssitzung super boring … – peteraltmaier‘ Na gut, wir müssen noch etwas an unseren Filtern arbeiten.“
Salzberg hat es aber auch nicht leicht hier, schließlich soll und muss die deutsche Bürokratie nicht für die Moderne ausgehebelt werden: In einer Ablage liegen Formulare verschiedenster Farben bereit: „Zum Beispiel die grünen Formblätter sind für Tweets, es gibt rosafarbene für Fotos bei Flickr und blaue für Facebook.“ Salzberg schnappt sich eines der Formulare.
So gehe das dann alles ratzfatz, erklärt er uns. „Wollen wir zum Beispiel bei Facebook Mitt Romney liken, weil er so tapfer war, füllen wir hier oben den Grund für die Aktion aus, geben hier die direkte URL an, kreuzen liken an – man könnte, wenn man jetzt wollte, auch noch ,Fan-werden‘ ankreuzen – das Kürzel des Sachbearbeiters hier, mein Kürzel, Stempel mit Datum drunter und dann geht das auch schon in die Hauspost.
Über Kanzleramtschef Pofalla landet das dann direkt auf dem Schreibtisch der Kanzlerin. Nach zwei, drei Tagen haben wir das wieder hier und können unsere Aktion vollziehen. Sofern der Bescheid positiv ausfällt, versteht sich.“
Auf die Frage nach Kanzlerin Merkels SMS-Sucht kann Salzberg nur müde lächeln: „Natürlich spielt das eine große Rolle hier unten. Dafür haben wir extra einen angestellt, der die schreibt.“ Tatsächlich fällt im schummrigen Licht des Raumes erst jetzt ein junger Mann auf – auf einem Hocker in der Ecke kauert ein vielleicht 15-Jähriger, in jeder Hand ein Siemens-Handy.
In Windeseile hackt er Nachrichten in die kleinen Kommunikationswunder. „Das ist unser Schülerpraktikant Kevin. Der schreibt hier unten die berühmten Merkel-SMS. Die jungen Leute sind doch viel schneller im Tippen auf diesen kleinen Tasten. Kevin, wie viele SMS schaffst du in einer Minute?“ – „150“, nuschelt der Junge, ohne aufzusehen.
Die aktuelle SMS habe Merkel gerade in Auftrag geben, darum sei Konzentration geboten, lächelt Salzberg die angespannte Situation weg. Auf einem der Handydisplays ist zu lesen: „joachim, denkst du an käse, milch und dosenfleisch? hdgdl angela“.
Plötzlich ein lautes Rattern und Fiepen. Salzberg verdreht die Augen: „Ja, wir haben seit kurzem ein kleines Problem.“ Ein Faxgerät spuckt meterweise Papier aus. „Altkanzler Kohl veranstaltet zurzeit einen Shitstorm gegen uns. Wahrscheinlich sind rechtliche Schritte nicht zu vermeiden“, Salzberg zeigt sich resigniert, kopfschüttelnd greift er zu einem gelben Formular.
„Ich werde aber erst mal eine Hater-SMS einleiten.“ Nicht alle stehen der Kanzlerin wohlwollend gegenüber und so manch einer weiß die neuen Möglichkeiten auch gezielt gegen Angela Merkel einzusetzen. Es wird also noch lange etwas zu tun geben, hier bei Dr. Salzberg und seinem Team vom Social Media Reputation Center der #Bundeskanzlerin.
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