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Die WahrheitWie ich einmal beinahe …

Kolumne
von Susanne Fischer

… prokrastiniert hätte, das aber dann auf morgen verschob.

D ie Sprachwissenschaft fragt sich ja im Ernst, ob es Wörter gibt, die untrennbar und von Anfang an zum Gegenstand gehören, den sie bezeichen. Eines der dringenderen ungelösten Probleme der Menschheit ist meiner Meinung nach aber die Frage, ob es Wörter gibt, die per se, unabhängig von ihrer Bedeutung, eklig sind. Ich denke: ja, und sammle seitdem. Spitzenreiter ist natürlich „lecker“. Bedeutung angenehm, Wort widerlich. Steigerung des Schüttel-Effekts jederzeit möglich durch einen einfachen Grammatik-Trick, den Mangel an Beugung: ein lecker Bier. Hurrr!

Auf dem zweiten Platz steht bei mir „Schlemmen“. Sich bis zum Anschlag mit lecker Leckereien vollfüllen – gute Sache eigentlich, aber nein, mir wird doch wieder übel. Dass es in Bahnhöfen Gebäckstücke zu kaufen gibt, die „Schlemmerzunge“ heißen, habe ich schon im vergangenen Jahrhundert öffentlich gegeißelt. Geißeln ist übrigens auch kein schönes Wort. Klingt erstens nach Ziegen-Geiselnahme, und hat zweitens das Manko aller Verben, die auf „eln“ enden und deshalb wie verkappte Diminutive aussehen. Also behaupte ich lieber mal, dass ich die Schlemmerzunge gegeißt habe. Nützt aber auch nichts, denn auf mich hört niemand.

Verkleinerungen und Verniedlichungen überhaupt: voll ätzelnd. Darüber kann man schnell ein Konsenselchen erzielen, nicht wahr? Oder darf's bei Ihnen ein Pannacöttchen mehr sein? Warum sind ausgerechnet die Eßwaren so anfällig für eklige Bezeichnungen? Sind wir da besonders emfpindlich? Ich sage nur „Ed von Schleck“. Man traut sich ja kaum noch einzukaufen. Ich deute an der Kuchentheke zaghaft mit dem Finger und verlange flüsternd: „Eins von denen da vorn, bitte!“, und die Verkäuferin brüllt mich an: „Sie wollen den Schokoladen-Wuppi?“ Nein. Ich möchte lieber in Würde verhungern.

Wammerln mag ich auch nicht, keinen Presssack, Speckstippe, niemals Kolatschen und auf gar keinen Fall Powidl. Also dürften es wohl die Assoziationen sein, die mir zu schaffen machen. Es leben Hanuta, Haribo, Hansano und alle weiteren keimfreien Akronyme der Lebensmittelindustrie.

Leider ekle ich mich auch vor Wörtern und Wendungen, die andere ganz toll finden: „Verkrustete Strukturen aufbrechen“, zum Beispiel. Abgesehen davon, dass das eine Dumpfmeier-Metapher ist, und schon deshalb eklig und seit Ewigkeiten verboten, sehe ich dann immer Wundkrusten, die unter der Spannung des nachdrängenden Eiters zerplatzen. Überhaupt machen die Leute gern Dinge kaputt und reden deshalb dauernd davon, irgendwas herunterzubrechen, Konzepte vor allem. Ich glaube, die meisten Menschen haben viel mehr Freude an Gewalt, als man im allgemeinen annimmt.

Was leider nicht mehr in die verkrustete Struktur dieser Kolumne, also in mein geliebtes Prokrustes-Bett in dieser Zeitung, passt, sind meine Gedanken über das Krustentier, den Kräuselkrepp und das Prokrastinieren. Die muss ich leider auf nächstes Mal verschieben.

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11 Kommentare

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  • JO
    Johann Otto

    Gegenwärtiger Dummdeutsch-Spitzenreiter: spannend (alles ist nur noch spannend). Dummdeutsch-Spitzenreiter-Satz: Dieser oder jener sei ein spannender Mensch. während wiederum diese oder jene eine spannende Frau sei (Brutto wie Netto, ohne Quotenregelung). Na gut: Kein Spanner in der Nähe, da kann sich unbesehen die Hose ruhig ein bißchen spannen – ist ja irre, irgendwie spannend.

  • S
    SunJohann

    Haus- und Telefonverbot (sofort auflegen) für alle, die mir etwas als lecker empfehlen, und dann vielleicht auch noch mit der Angabe (in der Zeitung zum Beispiel, sofort zerreißen), wo es das Unsägliche auch noch gibt: vor Ort nämlich. Vielleicht auch noch mit Zusatzangaben: das ganze sei so richtig authentisch, klimaneutral verpackt, nachhaltig eben. Auf der Hate-Liste (Auswahl) ferner: alternativlos, zielführend, Projekt, fair, ich habe heute eine Präsentation, Transparenz, Gesetze, die es nur im Paket gibt, alles Dialog (Gespräche mittlerweile völlig unbekannt) und alles ist Zwang, zum Beispiel Zwangsprostitution - vom Zwangsstricher noch nie etwas gehört. Mal wieder einen gesellschaftlichen Teilbereich nicht richtig durchgegendert! Allerdings lasse ich genüßlich das Wort Zwangseuropa durchgehen und den Satz: Mein Mütterchen hat mir ein Süppchen gekocht. Der Satz erinnert an russische Märchen und ist daher okaido – da bin ich wirklich für! Neuestes Dummdeutsch: Wir brauchen eine neue Erzählung von Europa. Danke!

  • S
    SunJohann

    Völlig in Ordnung mit zahlreichen Diminutiva sind auch folgender Sätze (zusammen ein Dialogchen, weil in Deutschland es mittlerweile keine Gespräche mehr gibt): Mein zartes Grashälmchen, mein Sonnenstäubchen, mein kleines Engelchen – wollen wir es heute mal so richtig in meinem Bettchen knallen lassen? Nein? Ewiglich? Das ist aber nicht Schönchen, mein Herzenssöhnchen!

  • MJ
    Mary Jo

    @Besserwessi

    Diminuitiv???

  • C
    carlaugusta

    Ich find's ja auch, das Gewaltthema betreffend, äußerst doof, wenn Politiker o.ä. kritisiert werden, und das heißt dann im Journalistenjargon: "Er hat Prügel gekriegt." Quatsch! Muss denn alles wie Actionfilm-kompatibel sein??

    Was bestimmte Kreise neuerdings gegen "lecker" haben, verstehe ich nicht. Es gibt immer so Sachen, wo "man" gegen sein muss, und keiner weiß genau, wieso.

     

    Was soll man denn alternativ für was leckeres sagen? Wohlschmeckend? Delikat? Köstlich?

    Also, ich glaub ich muss jetzt lecker Plätzchen essen...

  • B
    Besserwessi

    Donnerwetter, wirklich flott und witzig geschrieben.

     

    Im Vergleich zu Ihnen kann Deniz Mygrationshyntergrund Yuecel nur gebrochen (!) Deutsch und auch die anderen TAZ Moechtegernkasperlis sind bei weitem nicht so “geil”.

    Und mit "geil" waeren wir bei den Achtziger-Jahren angelangt.

    Also den “Ed von Schleck” von damals haetten Sie nicht unbedingt wieder hervorkramen sollen, da tut ja schon der Anblick des Namens weh. Autsch !

     

    An Diminuitiv hingegen habe ich noch beste Jugenderinnerungen.

    Haben Sie den/das Dimunitiv selbst gebacken oder gibt’s das wieder zu kaufen?

     

    Und bei der naechsten Produkastrination bitte folgende Leckerlis mit im Text verstecken: Duplo, Brauner Baer, Manner Schnitten und Knoppers.

    Letzteres kann man eigentlich aber auch in die Tonne kloppen, es klingt ja auch wie “bekloppt”, und nur nostalgische Fans in Doofmund und Umgebung fragen das noch vereinzelt nach.

  • D
    Dirk

    Der ist mir durch die Lappen gegangen.

  • E
    eva

    nachtrag : "das ging voll in die hose" - auch keine schöne vorstellung , oder? usw usw

  • E
    eva

    liebe susanne fischer --

    mir SOOO aus der seele gesprochen: wie wäre es denn mit einem "sößchen" oder "süppchen" - der edel-köchinnen liebste vokabeln. und für mich grund genug, vom angepriesenen rezept sofort abstand zu nehmen. ach, es gäbe noch viel zu sagen :-)

    schöne grüße

    evalautebach

  • RH
    Reinhard Huchthausen

    Dieser Text ist eine Offenbarung für mich. Ich führe auch so eine Liste und auch bei mir steht "lecker" an erster Stelle.

  • N
    Nachdenklich

    Da gibt es ja noch ganz andere Wörter und vor allem Phrasen, wie z.B. von dem (Steuer-)Geld, das irgendwohin oder irgendwoher "gespült" wird (mit Palmolive?), die (politischen, kulturellen, lokalen, Karnevals-, Vereins- und sonstigen) "Urgesteine" (also alles unbewegliche Sturköppe?) usw. usf. etc. pp. Gerne auch von Journalisten benutzt!