Die Wahrheit: Im Blitzlichtgewitter
Teil 3 der großen Wahrheit-Sommerserie „Ympäri Suomen – Rund um Finnland“. Heute heißt das Motto: Trinken in Turku.
Im vergangenen Jahr erschien das Buch „Finne dich selbst“ von Bernd Gieseking. Ein Jahr später will der Wahrheit-Autor überprüfen, ob auch alles noch seine Richtigkeit hat, was er seinerzeit über das seltsame Suomi geschrieben hat. Deshalb umrundet er nun einen Sommer lang für die Wahrheit, die sonst Umrundungen aller Art strikt ablehnt, Finnland.
„Wir fahr’n, fahr’n fahr’n auf der Autobahn“, so ein Song wäre in Finnland nie geschrieben worden. Dafür fehlen hier die kulturellen Voraussetzungen. Es gibt kaum Autobahnen. Ympäri Suomen. Einmal um das Land herum heißt vor allem – Landstraßen fahren. Vergleichszahlen aus dem Jahr 2005 zeigen: Deutschland hatte 12.363 Autobahnkilometer, Finnland 693. Und so viel mehr sind es inzwischen auch nicht geworden. Ich glaube, es sind auch nur so viel, weil die Finnen die Strecken in beiden Richtungen zusammenzählen. Für alle vier Spuren. Sechsspurige Straßen wie in anderen Ländern haben hier Weltwunder-Status. Man muss in Finnland also schon eher Glück haben, überhaupt ein Stück Autobahn zu erwischen.
Mein erstes Ziel ist Turku. Dorthin führt von Helsinki tatsächlich eine Autobahn. Also, was der Finne so Autobahn nennt. Die Autobahn nach Turku ist dann letztlich doch nur ein kleines Stück Helsinki-Umfahrung. Kurz vor Turku wird es dann aber doch noch mal vierspurig-asphaltig. Staus kennt der Finne übrigens gar nicht! Nicht mal der Feierabendverkehr in Helsinki ist der Rede wert. Dafür kennt der Finne aber Blitzgeräte! Kein anderes Land hat so viele. Nicht einmal die Region um Paderborn hat mehr. Und so viele wie dort stehen sonst nirgends in ganz Deutschland. Um Paderborn herum gibt es mehr Blitzgeräte als Einwohner. Vielleicht will der Paderborner mit den Geräten auch nur Bewohntheit vortäuschen. Und hat sich eben das womöglich vom Finnen abgeschaut. Also, könnte ja so sein …
Aber im Unterschied zu Deutschland – der Finne warnt! Zu praktisch jedem finnischen Blitzgerät gehört ein Blitzgerät-Warnschild. Wer hier in Finnland bei einer Geschwindigkeitsübertretung erwischt wird, der hat es auch nicht besser verdient.
Auf manchen Schildern sieht man eine alte Balgenkamera von der Seite, als Piktogramm. Als Motiv und auch technologisch längst überholt von Digitalkamera und Laserpistole, aber auch für den deutschen Reisenden sofort und eindeutig zu entschlüsseln. Manchmal stehen auf den Schildern die kryptischen Worte „Automaattinen liikennevalvonta – Poliisi“. Da braucht man kein Wörterbuch oder den Google-Translator, da sagt einem der gesunde Menschenverstand, dass man bremsen muss. Bis dann allerdings die Kamera kommt, das wiederum kann noch einige Kilometer dauern, in denen man sie jedoch trotzdem nicht vergessen sollte.
So nähere ich mich Turku. Heute Studentenstadt und lange Zeit die wichtigste Stadt Finnlands, sogar mal Hauptstadt von 1809 bis 1819, aber das hat der Russe geändert. Dazu ließ der Russe Helsinki „repräsentativ“ umbauen, von Carl Ludwig Engel, und der war – Info für Quiz-Kandidaten – Sohn eines Berliner Maurermeisters. Und wenn irgendein Haus in Finnland nicht im 20. Jahrhundert von dem finnischen Universal-Genie Alvar Aalto gebaut wurde, dann ist es aus dem 19. Jahrhundert, von Engel.
Zurück nach Turku. Ich habe hier seit meinem ersten Finnland-Besuch eine Stammkneipe. Es ist gut, in allen Städten eine Heimat zu haben. Diese ist etwas groß geraten. Man verläuft sich beim Trinken. Eine ehemalige Schule, jetzt Restaurant und Kneipe mit eigener Privatbrauerei und Biergarten im Schulhof, ansonsten trinkt man in den Klassenzimmern. Panimoravintola Koulu. Koulu heißt Schule. Zum Teil deutsche Schulkarten hängen an der Wand. Das Bier hat dem Gebäude entsprechende Namen, man trinkt Maisteri (dunkles Lager) Ope und Lehtori (helle Lager) – alle drei Namen bedeuten „Lehrer“ – und Reksi, und dieses „Rektorenbier“ ist natürlich das Starkbier in dieser Reihe. Tagsüber allerdings trinke ich hier Kaffee. Ich will ja noch weiter. Aber mit der in Deutschland geltenden Regel „Kein Bier vor Sonnenuntergang“ komme ich hier in Finnland nicht weit. Das würde bedeuten: Kein Bier vor September!
Turku ist zwar total schön, aber ich muss endlich am Bottnischen Meerbusen hoch. Da ich erst rund 67 Kilometer von meinen weit über 3.000 geschafft habe, reise ich weiter. Ich muss zurück sein in Deutschland, bevor die Flüsse wieder zufrieren, also etwa im August.
Ich fahre möglichst nah am Wasser entlang. Die Außengrenze Finnlands. Außerhalb der Ortschaften sind 80 Stundenkilometer erlaubt, aber maximal 57 möglich. Hier im Süden gehört das Schlagloch zur Straße wie das Blitzgerät. Die Motorradfahrer vor mir müssen sich fühlen wie in einem Slalom-Parcours. Ich schätze, ihre Wegstrecke verdreifacht sich.
Ich muss dreimal mein Fahrrad wieder einsammeln und neu auf dem Träger montieren. Aber unverdrossen geht es weiter, der nicht mehr untergehenden Sonne entgegen. Bald schon werde ich die schwedische Grenze erreichen. Vorher aber habe ich ein Ziel. Eines der wichtigsten finnischen Museen, gelegen im beinah unaussprechlichen Uusikaupunki, das Bonk-Museo …
BERND GIESEKING
(Fortsetzung nächsten Dienstag)
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