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Die WahrheitDer fatale Bungalow

Kolumne
von Eugen Egner

Schon bald nach meiner Ankunft lernte ich einen anderen Hotelgast kennen, den Bahningenieur Fleissner. Wir kamen beim Abendessen ins Gespräch ...

S chon bald nach meiner Ankunft lernte ich einen anderen Hotelgast kennen, den Bahningenieur Fleissner. Wir kamen beim Abendessen ins Gespräch, und eines unserer Themen war geradezu zwangsläufig die Landschaft, in welcher wir uns aufhielten und über deren Natur mich Fleissner aufklärte. „Diese Landschaft“, sagte er, „will den Menschen abschütteln.

Dessen Gegenmaßnahme ist der Versuch, sie durch das Bahnwesen zu zähmen; der Mensch legt ihr damit gewissermaßen ein Geschirr an. Deshalb ist ihr alles Bahnmäßige besonders verhasst. Wissen Sie, eigentlich müsste diese Landschaft ins Gefängnis oder in die Psychiatrie abtransportiert werden. Doch wie sollen wir das machen?“

Wie ich von Fleissner erfuhr und später auch selbst sah, ließ die Landschaft an vielen Stellen Schilder entstehen, deren Aufschriften nichts als Propaganda für die eigenen Interessen waren. Sie ließ sogar Personen entstehen, angebliche Landschafter, die sich radikal gegen alle Bestrebungen der Bahn wandten.

Am nächsten Vormittag wollte ich wieder zur Flugschule, um wegen der Schuld der Flugschüler zu ermitteln. Die Flugschule war jedoch verschwunden, an ihrer Stelle stand nun ein Bungalow mit Garten. In der Nähe hielt sich eine Gruppe Landschafter auf, und ich fragte sie nach der Flugschule. Die habe nicht in die Landschaft gepasst, sagten sie, daher hätten sie sie übermalt.

Der Bungalow mit seinem Garten nehme sich doch viel schöner aus. Ich protestierte und verlangte von ihnen, den vorigen Zustand wiederherzustellen. Das wurde jedoch abgelehnt. Ich sah mich gezwungen, gegen die Landschafter, die mit dem Übermalen der Flugschule große Schuld auf sich geladen hatten, Anzeige zu erstatten.

Beim Abendessen im Hotel berichtete ich Fleissner von der Neuigkeit. Er aber meinte, dies sei der Beweis dafür, dass mein Denken von der Landschaft manipuliert werde. Der Bungalow habe schon immer dort gestanden, und die Partys, die dessen Bewohnerin, eine gewisse Charlotte Krüger, an den Wochenenden gebe, seien der Höhepunkt des örtlichen Gesellschaftslebens. Diese Charlotte Krüger habe es ihm seit Langem schwer angetan. Er sei außer sich vor Verlangen nach ihr, gleichwohl leide er unaussprechlich unter diesem Verhältnis, das er nur verhängnisvoll nennen könne.

Fleissner, sonst ruhig und souverän, erschien jetzt nervös und niedergeschlagen, ja desperat. Diese Frau sei grausam und unvorstellbar teuflischer Machenschaften fähig. Was sie ihm abverlange, sei nicht menschlich. Er habe Angst, sagte er, die Affäre könne zu seinem seelischen und materiellen Ruin führen. Die Worte „Ich stehe an einem Abgrund“ laut rufend, sprang er ungestüm vom Tisch auf und lief davon.

Ich war überrascht und irritiert. Offenbar hat es nun auch Fleissner erwischt, dachte ich, die Landschaft manipuliert seine Erinnerung. Und er will mir einreden, ich bildete mir alles nur ein! Da trat ein Hotelangestellter diskret an mich heran und überreichte mir eine Einladung zur nächsten Party im Krüger’schen Bungalow.

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