Die Wahrheit: „Sie muss kurz und knackig sein!“
Ein Interview mit taz-Zeichner ©Tom über politische Karikaturen, seinen persönlichen Stil und die Stupsnasen koreanischer Potentaten.
taz: Tom könntest du Angela Merkel zeichnen?
©Tom: Ja, ich habe sie auch schon gezeichnet. Es ist nur sehr lange her. Sie hat ja ein sehr markantes Gesicht. Es ist die letzten zehn Jahr auch deutlich markanter geworden. Angela Merkel ist relativ einfach zu zeichnen.
Aber man hat den Eindruck, dass es erheblich weniger Zeichnungen von Angela Merkel gibt als zum Beispiel von ihren Vorgängern Schröder und Kohl. Werden Frauen seltener parodiert oder karikiert?
Ich habe nicht den Eindruck, dass es wenig Zeichnungen von Angela Merkel gibt. In Griechenland gibt es ganz viele Zeichnungen von Angela Merkel.
Aber du selbst bist kein Zeichner, der Politiker karikiert, also überzeichnet – wie es in der klassischen Karikatur vorkommt: Gesichter verfremden.
Ich habe es nie richtig gelernt. Ich kann halt nur Knollennasen. Ich habe allerdings 1989 als Politkarikaturist bei der taz angefangen. Meine erste gedruckte Zeichnung war eine Politkarikatur, und dann bin ich ziemlich schnell gefragt worden, ob ich das regelmäßig machen möchte, einmal die Woche. Und ich habe das auch bis 2008 gemacht. Ich habe allerdings festgestellt, dass es mir schwerfällt, Politiker zu karikieren. Ansonsten habe ich versucht, das Thema, über das ich etwas aussagen möchte, mit anderen Figuren zu besetzen.
Du bist jemand, der einen ausgeprägten Stil hat. Deine berühmten Nasen zum Beispiel. Ist es eher so, dass sich dein Stil durchsetzt gegen das Thema? Oder hast du einfach keine Lust, Politikergesichter zeichnerisch zu verdoppeln. Sind dir deine Nasen wichtiger?
Es kommt drauf an. Es gibt Figuren, die kann man hervorragend mit großen Nasen darstellen. Was der Kollege Burkhard Fritsche ganz großartig macht. Der hat ja noch extremere Nasen als ich. Der kann wirklich alle Leute mit diesen Nasen zeichnen – und man erkennt sie. Im Prinzip geht es auch mit meinen Nasen bei den meisten. Nur bei manchen, zum Beispiel mit Himmelfahrtsnasen, funktioniert das oft nicht.
Man könnte jeden real existierenden Politiker als ©Tom-Figur auftreten lassen?
So er keine Stupsnase hat. Koreanische Potentaten wären schwierig. Aber wenn sie wichtige Körper- oder Gesichtsmerkmale haben, dann ist das kein Problem.
Du machst seit 2008 keine politischen Karikaturen mehr. Verfolgst du jetzt den Wahlkampf?
Jaaa, ich gucke mal hin, manche Wahlspots sind sehr belustigend.
Kann es sein, dass die Vorgaben aus der Politik so schlecht sind, dass man es nicht mehr überzeichnen kann?
Es ist alles ein bisschen dröge. Was ich bis jetzt an Plakaten, Slogans, Spots gesehen habe, da sind die kleinen radikalen Parteien viel lustiger. Und die großen Parteien, das ist höchstens ein Umeinanderherumtanzen und furchtbar schnarchlangweilig.
Du bist eher ein situativer Zeichner. Du erzählst kleine Geschichten aus dem wirklichen Leben, die dann einen politischen Dreh bekommen. Also bist du eher jemand, der im Comic-Stil erzählerisch reagiert auf politische Begebenheiten?
Ich erzähle Kurzgeschichten aus dem Alltag. Es ist mein Handwerk, komplizierte Themen in kurze Bilder umzusetzen. Aber weil Politkarikaturen anstrengend sind, bin ich eher bei den Alltagsgeschichten geblieben. Die auch politisch sind, weil sie aus dem Alltag kommen.
Die klassische deutsche Karikatur sieht so aus – da wird eine Redewendung wörtlich genommen: Ein Karren steckt im Dreck. Auf dem Karren klebt ein Schild „Europa“. Vorne versucht der deutsche Michel, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, hinten stemmt sich die französische Marianne dagegen. Hast du schon einmal auf ein Schild „Europa“ geschrieben?
Nein.
Kannst du sagen, welche Karikatur deine beste war?
Ich passe. Aus einem Grund: Ich will sie nicht erzählen. Erzählte Karikaturen sind tote Karikaturen. Gezeichnete Witze erzählen ist furchtbar.
Aber was muss eine Karikatur haben, damit sie gut ist?
Sie muss kurz und knackig sein. Und es müssen sich viel Leute darüber aufregen.
Damit sind wir beim beliebten Knallerthema „Mohammed-Karikaturen“. Würdest du Mohammed zeichnen?
Ich würde ihn nicht zeichnen, weil es ein langweiliges Thema ist. Es ist einer dieser großen Knöpfe, bei denen man weiß, wenn man draufdrückt, dann passiert ein Riesenbohei. Mohammed ist jetzt auch schon über dreizehnhundert Jahre tot, und genauso tot ist jeder Mohammed-Witz. Eine Karikatur muss ja immer aktuell sein.
Kannst du dir vorstellen, eine Karikatur über Muslime oder einen Imam oder einen Mullah zu zeichnen? Oder ist das einfach nicht deine Welt?
Ich habe zehn Jahre lang Karikaturen gezeichnet. Darunter auch Witze über Priester oder den Papst. Ich bin da aber eher praktisch ausgerichtet: Morgens gibt es in der Zeitung eine Redaktionskonferenz, da werden die Themen festgelegt. Danach bin ich benachrichtigt worden, was für Themen erwünscht sind. Dann muss einem dazu etwas einfallen. Ich setze mich jetzt nicht hin und überlege: Ich mache einen Witz über einen Imam oder einen Pfarrer. Wenn, dann würde ich es immer im Zusammenhang mit einem aktuellen Ereignis machen. Und überlegen, wie ich es umsetze, was ich ausdrücken oder kritisieren will.
Wo wäre zum Beispiel die Grenze? Es gibt viele Leser, die meinen, man darf über Minderheiten keine Witze machen. Und dann zählen sie Frauen zu den Minderheiten. Über was darf man keine Witze oder Karikaturen machen?
Grundsätzlich macht man keine Witze, um Witze über Minderheiten zu machen. Aber man darf Witze und Karikaturen mit jedem machen.
Wir kommen immer wieder auf die Grenzen der Karikatur, weil Karikaturen stets Grenzen überschreiten: Sie überzeichnen das normale Bild. Wie weit darf man denn zu weit gehen?
Das Problem ist der Betrachter. Wir haben oft den Effekt, dass der Betrachter gern Dinge sieht, die er sehen will. Ich hatte schon einige ganz harmlose touchés, bei denen jemand sofort losschrie: Das ist das und das! Sich sehr aufregte. Weil es angeblich „frauenverachtend“ war oder „sexistisch“ oder was auch immer – ohne genau hinzugucken. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich Betrachter Bilder wahrnehmen. Oder wie schnell Dinge gesehen werden, die man sehen will, um dann laut herumschreien zu können. Das heißt, die Definition, was diese Karikatur ausdrückt, ist nicht eindimensional.
Die Karikaturisten beklagen sich momentan über ihre Arbeitssituation. Tageszeitungen schließen, Etats werden zusammengestrichen. Sie bringen immer weniger Bilder unter. Gleichzeitig haben Redakteure Angst, den Lesern riskante Themen zuzumuten. Daraus resultiert eine Harmlosigkeit in den Medien. Hat sich bei den Lesern die Wahrnehmung verändert, sind die Leser in den letzten Jahren empfindlicher geworden?
Die Leser haben mittlerweile eine größere Bühne bekommen – mit Internet, Blogs, Twitter … Wenn man sich die Leserkommentare anguckt – jeder schreibt unüberlegt morgens um vier mit zwei Flaschen Wein im Kopf irgendwelche Kommentare zu irgendeinem Unsinn. Und alles wird veröffentlicht. Die Bühne ist größer, das Geschrei lauter.
Ist die Bühne für die Karikaturisten kleiner geworden? Geht das nicht zu Lasten der Qualität? Eigentlich sind Leser Leser, Zeichner Zeichner, Schreiber Schreiber. Jetzt wollen alle alles.
Meinetwegen kann und darf jeder zeichnen, wen und was er will. Und ich werde mich bemühen, irgendwann wieder politische Karikaturen zu machen.
©Tom, wir danken dir für das Gespräch.
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