Die Wahrheit: Fahren im Falschen
Zum Ende der Formel-1-Saison: Offener Brief der Wahrheit an die der Motorsport-Rennstrecke den Namen gebende Stadt Hockenheim.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dieter Gummer,
es ist zu vermuten, dass Sie ein verständiger und untadeliger Mann sind, denn Sie stammen aus „Speyer zu Worms“ (Heino Jaeger) und stehen seit beinahe zehn Jahren der Großen Kreisstadt Hockenheim vor, ohne dass aus den Reihen Ihrer Bevölkerung nur das geringste Murren zu vernehmen gewesen wäre. Deshalb richten wir uns hier und heute mit einem wichtigen Anliegen an Sie.
Hockenheim ist eine prachtvolle, bunte, vitale Große Kreisstadt, die mit den umliegenden Gemeinden Altlußheim, Neulußheim und Reilingen eine ausgesprochen wohlgefällig-harmonische Verwaltungsgemeinschaft bildet. Hockenheim blickt auf eine große Vergangenheit zurück: „1766 gab die Seiltänzerfamilie Knie im Engelhof ein für Hockenheim und Umgebung vielbeachtetes Gastspiel“ (Wikipedia). Außerdem schaut Hockenheim als „Ort von Verkehr und Aufenthalt“ (www.hockenheim.de) zu Recht mit Stolz auf eine Gegenwart, die rund um die Karpow-Schachakademie und das Industriegebiet Talhaus erblüht. Hockenheim ist dynamisch, in Bewegung, Hockenheim, hört man, marschiert unverdrossen voran.
Kurzum, hochverehrter Herr Gummer, wir fühlen uns Ihrer Stadt eng verbunden, zumal weil sie an einer ehrwürdigen Handelsstraße von Frankfurt am Main nach Basel liegt – und nicht zuletzt deshalb, weil wir nicht nur große Freunde der Literatur, sondern ebensosehr des motorisierten Rennsports sind.
Lieber Herr Gummer: Sie sind, wir wiederholen uns gern, ein feiner Kerl (vergleiche Hans Schuppel: „Zuerst Mensch – dann Oberbürgermeister“), und darum bitten wir in einer dringlichen Sache um Ihr Verständnis, ja Ihr allerbaldigstes vollumfängliches Entgegenkommen.
Denn ein Manko, einen Makel haben wir an der Großen Kreisstadt Hockenheim leider doch zu bemängeln: die Benamsung der weltberühmten Rennstrecke östlich Ihres glanzvollen und der Zukunft zugewandten Gemeinwesens. „Hockenheimring“ – ein solcher Name ist, hochgeschätzter Herr Gummer, wahrlich zu prosaisch, zu prüde, zu spröde, der ist weder PR-strategisch noch geistig-moralisch mehr tragbar, der muss, sagen wir es rundheraus und ohne Scheu- und Pferdeklappen, weg und hinfort – und zwar schleunigst! Die Große Kreisstadt Hockenheim mit diesem ihrem Ruf kann sich, vor allem im Hinblick auf die nächste Formel-1-Saison, eine derartige Schmach, eine derartige Schande nicht länger leisten!
Daher befehlen, ja fordern wir stehenden Gasfußes die Umbenennung des „Hockenheimrings“ in: „Horkheimerring“ – um die Last der Beschämung von Ihren, Herr Gummer, und den Schultern Ihrer Bevölkerung zu nehmen und um die Bande zwischen Frankfurt und Hockenheim noch enger zu knüpfen, als sie seit Jahrtausenden ohnehin schon ist.
Im gleichen Atemzuge werde, höchstgeschätzter Herr Gummer, aus der Boxen- die Adorno-Gasse, aus der Parabolika die Hegel-Gerade, aus der faden Spitz- die Kant-Kehre, aus der öden Sachskurve die Marx-Schikane, aus der korrupten Ecclestone-Kurve der Feuerbach-Bogen und aus der doofen, ja saublöden Mercedes-Kurve das Trotzki-S.
Höchstverehrter Herr Gummer! Bei der Zweittaufe anderer Streckenabschnitte wie der Mobil-1-Kurve, der SWR-3-Kurve und so fort werden wir Ihnen selbstverständlich verpflichtend zur Seite stehen, und unser zeichnerisch tätiger Mitarbeiter Hannes Neubauer hat, wie neben diesem Text glänzend ersichtlich, zwecks radikaler Neuausrichtung des Marketings bereits ein blitzsauberes, das Image der Großen Kreisstadt Hockenheim neuerlich weit nach vorne wuchtendes „Horkheimerring“-Logo entworfen.
Hochwürdigster Oberbürgermeister Dieter Gummer! Nehmen Sie sich ein Herz! Das erfleht, ja ordnet an im Auftrag der Wahrheit: Ihr Fan Jürgen Roth
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
Namensgast
Gast
Ich wär ja für Jürgen-Trittin-Ring