Die Wahrheit: Ein Brief geht um in Europa
Kontonummern haben künftig 22 Stellen, denn der Zahlungsverkehr wird auf Sepa umgestellt. Das ist schön: Europa wächst weiter zusammen.
Da! Schon wieder einer! Es ist seit dem Herbst der achtzehnte Brief im Postkasten, der mitteilt, dass der Zahlungsverkehr auf Sepa umgestellt wird. Diese Mitteilungen bestehen meist aus zwei bis vier engbedruckten Seiten, in denen erklärt wird, dass aus unseren bisherigen achtstelligen deutschen Kontonummern jetzt zweiundzwanzigstellige europäische Kontonummern werden, die jetzt nicht mehr Kontonummern, sondern Iban heißen.
Unsere Bankleitzahlen heißen jetzt Bic und haben statt neun nun sechzehn Stellen. Europa wird dank Sepa noch europäischer. Das ist schön. SEPA wird uns enger zusammenrücken lassen. Sepa verbindet die Völker. Sepa – eine gute Entwicklung.
Schon im vorigen Jahr trugen die Griechen auf öffentlichen Versammlungen als Vorboten des Näherrückens komische Fotos von unserer Kanzlerin mit einem kleinen lustigen Schnurrbärtchen herum, und es war klar, sie hatten sich vorbildlich mit unserer Geschichte auseinandergesetzt, sie waren Fans von Deutschland und unserer Kanzlerin, so wie wir Fans von Kreta und der Akropolis sind. Sepa wird uns noch mehr vereinen.
Wir haben lange darauf gewartet. Wenn wir demnächst nach Griechenland, Portugal oder Spanien Geld überweisen, kommen unsere Euros endlich da an, wo sie hingehören. Sepa wird verhindern, dass Milliarden einfach irgendwohin verschwinden. Achtstellig – das ist völlig überholt, das war unkontrollierbar, dass musste ja schiefgehen. Sicher tauchen demnächst im Sepa-Umstellungsprozess längst verloren geglaubte Milliarden wieder auf. Schwupps, da sind sie ja wieder. Heureka! Wir haben sie gefunden.
Der Ouzo wirkt schneller
Ach, es wird herrlich sein auf unseren künftigen Reisen in Europa, wenn wir wissen: Hey, du siehst anders aus als ich, du sprichst eine andere Sprache, aber auch du, mein Freund Dimitros, hast eine zweiundzwanzigstellige Kontonummer, die du schon genauso lange wie ich vergeblich versuchst, auswendig zu lernen. Hach, da schmeckt das lauwarme Souflaki doch gleich noch mal so gut, da wirkt der Ouzo erheblich schneller.
Sepa führt uns aus dem Separee der Überweisungen heraus, eint uns alle. Denn nun wissen wir, dass beispielsweise auch der sympathische Finne aus „The Voice of Germany“ Sätze wie „Die Lastschriftmandate werden durch unsere Gläubiger-Identifikationsnummer DE123456789101112 und die entsprechende Mandatsreferenz gekennzeichnet“ genauso wenig kapiert wie wir. Wieder sind wir der Vereinigung ein Stück nähergerückt, und Vereinigung, das ist es doch, was wir alle wollen.
Sepa schafft schließlich auch Arbeitsplätze: In der Eurozone leben rund 330 Millionen Menschen. Wenn alle dauernd Sepa-Post bekommen, dann ist da europaweit einiges weggeschuftet worden. Briefe wurden übersetzt, getippt, unterschrieben, eingetütet, zugestellt.
Arbeitsplätze im Regenwald
Ganz Europa arbeitet Hand in Hand an der großen Umstellung. Und schafft selbst in tropischen Wäldern Arbeitsplätze. Wenn jeder Eurozoneninsasse geschätzte zwanzig Sepa-Schreiben von Kreditinstituten, Rentenversicherungen, Vereinen und Kegelclubs bekommt, dann sind das grob gerechnet zweihunderttausend Tonnen Papier. Viel Arbeit für Baumfäller. Die haben es auch nicht immer leicht.
Das Allerallerbeste aber an den tausenden Tonnen Papier ist der Satz: „Die Umstellung erfolgt durch uns, deshalb besteht für Sie kein weiterer Handlungsbedarf.“ Sepa sei Dank! Endlich einmal gibt es etwas geschenkt, und man muss nichts tun dafür, rein gar nichts. Außer all diese Seiten bedrucktes Papier zu entsorgen. Am besten in der großen Recyclingtonne. Vielleicht kaufen wir dann irgendwann eine Rolle Toilettenpapier, auf der steht: „Ich war eine Sepa-Mitteilung.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen