Die Wahrheit: Toughe Indianer
Verschwörungstheoriker im pädagogischen Milieu schrecken vor nichts zurück. Außer vor häkelnden Fußballjungs und rülpsenden Heulsusen.
W er heutzutage etwas auf sich hält im reaktionären „Querdenker“-Business, faselt davon, dass der Feminismus zwar einmal eine gewisse Berechtigung gehabt habe, nun der Wind aber aus einer anderen Richtung wehe. Heute seien die Männer die Benachteiligten und ganz besonders die Jungs in der Schule.
Die interessierten sich nämlich nicht für Literatur und Kunst, sondern für Sport, Autos und Bagger. Und das würde von den überwiegend weiblichen Lehrkräften bestraft. Die braven Lese-Mädchen aber, die naturgemäß kein Interesse an Fußball und Auf-die-Fresse-Hauen hätten, würden von den Lehrerinnen gelobt und bevorzugt. Ende der Paranoia.
Das Schlimme an Verschwörungstheorien ist, dass sie meist einen winzigen wahren Kern enthalten, diesen aber mit Schwachsinn ummanteln. Statistisch stimmt es zwar, dass Jungs im Schnitt die schlechteren Noten haben. Und tatsächlich können manche Lehrerinnen mit den Interessen der Mainstream-Jungs nichts anfangen.
Komischerweise schadet den Jungs das im späteren Berufsleben aber nicht. Nach wie vor verdienen Männer bei gleicher Qualifikation mehr, und nach wie vor sind Spitzenpositionen in der Wirtschaft, der Politik und auch im öffentlichen Dienst mehrheitlich mit Männern besetzt.
Davon abgesehen, geht mir das stereotype Geschlechterbild, das hinter der „Jungs werden benachteiligt“-These steht, ziemlich auf den Senkel. Nicht alle Jungs sind Neandertaler, die kloppen, brüllen, rülpsen und furzen wollen. Und nicht alle Mädchen stehen auf Rosa, sitzen brav und still in der Ecke, lesen Prinzessin Lillifee und warten darauf, dass ihre Menstruation einsetzt. Die Welt ist viel bunter.
Ich zum Beispiel war einerseits ein lauter, frecher und aggressiver Fußballjunge – habe aber gleichzeitig gern gelesen, fand den Musikunterricht super und spielte in der Pause mit den Mädchen. Ich habe sogar freiwillig Blockflöte (!) und Häkeln gelernt! Und auch sonst gab es bei uns alles: laute Jungs, stille Mädchen, stille Jungs, laute Mädchen, Fußballerinnen, Bodenturner, Heulsusen und toughe, nicht weinende Indianer mit und ohne Penis. Kurzum: Auch wenn die Mehrheit der Jungs in die eine und die Mehrheit der Mädchen in die andere Richtung tendierte, waren die Trennlinien beileibe nicht so eindeutig wie das gesellschaftliche Rollback das heute gern möchte.
Auf den möglichen Einwurf, diese Argumentation wolle die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wegbügeln, kann man nur antworten: Klar, warum nicht. Die Theorie von unterschiedlichen Geschlechtern macht nämlich etwas viel Schlimmeres: Sie nivelliert die Unterschiede zwischen den Individuen. Denn darum muss es doch gehen: Dass jeder so sein darf, wie er möchte, egal ob Junge oder Mädchen.
Wenn Schule endlich am Individuum ausgerichtet wäre und nicht an einer vermeintlichen „Mehrheit“ – wozu es vor allem mehr Lehrer für weniger Kinder bräuchte –, dann erübrigte sich der Kampf gegen eine „Benachteiligung“ der Jungs von selbst.
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