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Die WahrheitEin kleiner Mundvoll

Kolumne
von Frank Schäfer

Sämtliche Lifestyle-Magazine sind von Waschbrettbäuchen und Size-Zero-Models besetzt. Nur eine einzige Subkultur leistet erbitterten Widerstand.

W ir alle sind verkappte GQ-Abonnenten und Klum-Kucker. Wirklich, wir alle? Nein, es gibt da draußen eine grandiose Subkultur, wo noch die unkorrumpierbare, von Lifestyle-Zwängen unangefochtene, astreine Attitüde zu Hause ist. True Metal. „True“ bedeutet bekleidungsästhetisch, dass der Inhalt des Seesacks maßgeblich beeinflusst wird vom Bühnenoutfit der Band Iron Maiden der Jahre 1980/81. Oder 2014. Untenrum trägt man die klassische, bis zum Bersten gefüllte Wurstpelle (alias Stretchhose). Oben drüber ein ausgewaschenes T-Shirt, das einen daumenbreiten Streifen behaarten Bauchfleischs freigibt und mit den einschlägigen Motiven aufwartet: Blut, Gedärm, Bandnamen, Schleim, Monster und natürlich noch mehr Blut, Schleim und Gedärm. Man kann sich nun fragen, was mehr Schrecken provoziert – das T-Shirt-Motiv oder das darunter? Von der Kutte und den Nietenarmbändern dürfen wir hier getrost schweigen, sie tragen ja nicht auf. Pelle und Shirt schon.

Nicht-Metalheads bieten diese Bekleidungsgepflogenheiten mitunter Anlass zur Erheiterung. Vor einiger Zeit durfte ich einem Schulfest beiwohnen. Man hatte sich schick gemacht. Jeder nach seiner Fasson. Einer der Lehrer, ein grundsympathischer Schlonz, der von den Kindern geliebt wurde, ein engagierter, liebenswerter Vollblutpädagoge und – natürlich! – Schwermetaller, trug einen ziemlichen Wanst vor sich her. An diesem Nachmittag war der in ein vielfarbig leuchtendes Drachen-Shirt gewandet. Das Fabeltier sah wütend aus, spie Feuer und umspannte prall den Wamperich. Es passte dem Mann tatsächlich wie angegossen. Das sah man besonders deutlich an dem Zackenschweif des furiosen Lindwurms, der sich wie ein Rahmen um die mächtige Fleischpauke legte und deren Rundung noch betonte. Ein Bild großer Harmonie.

Der Vater eines Kindes, dessen Klassenlehrer der Drachenmann war, begrüßte ihn, stutzte und fing dann laut an zu lachen. Offensichtlich ein GQ-Abonnent. „Wow, Mann, da haben Sie aber ein schönes T-Shirt.“ Er schüttelte den Kopf und hatte viel Spaß. Der Lehrer antwortete nicht. Er sah den Lachenden an. Irgendwie peinlich berührt. Er schien nicht eingeschnappt oder indigniert zu sein. Er wusste schlicht nicht, was er darauf antworten sollte. Da eilte ihm ein anderer Vater wie selbstverständlich zur Hilfe. „Jaha“, nickte er freundlich in die Runde. „So was muss man natürlich tragen können.“

Der Drachenmann hob beide Hände wie zur Segnung und zog dabei kurz nickend den Kopf ein, so als stünde er vor seiner Klasse, die viel zu lange für die Lösung einer Aufgabe gebraucht hatte. Als wollte er sagen: „Na also!“ Eine Geste von fast schon überirdischer Souveränität und jedenfalls zenbuddhistischer Seinsgewissheit. Nicht umsonst wurde die Jumbo-Größe XXL eigens für die Heavy-Metal-Szene entwickelt. Aus XL war man schlicht rausgewachsen. Metalheads nehmen nämlich gern mal, Winnie-the-Pooh seligen Angedenkens, „einen kleinen Mundvoll oder ähnliches zu sich, um bei Kräften zu bleiben“.

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