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Die Wahrheit„Keine Guillotine!“

Offener Brief: 72 Jungfrauen schreiben aus dem Paradies an Marine Le Pen. Die Märtyrer sind schon kaputt genug.

Bild: Stephan Rürup

La Présidente du Front National,

geehrte Madame Marine Le Pen,

wir hoffen, dass es Ihnen und Ihrer Familie gut geht und allen, die Sie in Ihr französisches Herz eingeschlossen haben.

Madame! Wir haben hier oben im Himmel gehört, dass Sie die Wiedereinführung der Todesstrafe fordern. Die Guillotine des französischen Staates soll unsere jungen muslimischen Männer enthaupten, die andere Bürger in einem unseligen Blutrausch ermorden und dies in ihren beleidigten Köpfen für eine gerechte Rache an beleidigenden Ungläubigen halten. Madame Le Pen, glauben Sie bitte nicht, dass die Frauenaufklärung vor dem Paradies haltgemacht hat; wir billigen keineswegs alles, was Ihre und unsere Herrschaften der Schöpfung auf der Erde und in diesem Paradies veranstalten. Wir lächeln viel, aber unser Herz ist schwer.

Wir wissen nicht, wer Sie beraten hat bei Ihrer fatalen Kopf-um-Kopf-Politik. Aber bitte, denken Sie eine Sekunde daran, was Sie uns damit antun! Stellen Sie sich nur zwei französische Sekunden lang vor, was hier los ist! Jeden Tag werden neue Märtyrer bei uns eingeliefert – junge, meist ehemals hübsche Männer. Madame, Muslime können so schön sein.

Und jetzt stellen Sie sich bitte vor, wie diese toten Männer hier oben bei uns ankommen. Sie kommen ohne Arme, ohne Beine, ohne Augen, ohne Ohren, verstümmelt in allen nur denkbaren Formen, manchmal in kleinste Teilchen zersprengt.

Wir haben die Welt studiert, Madame Le Pen, aber wir sind keine Chirurginnen, keine Visagistinnen, wir sind nicht allmächtig. Glauben Sie, es macht Spaß, den Akt der Liebe mit kleinen blutenden Häuflein Fleisch zu vollziehen? Madame, das erzeugt keine Ekstase, das erzeugt große Übelkeit. Wir lieben die Ästhetik! Wenn Sie wüssten, wie schön wir sind … Sie würden umfallen, vielleicht.

Es reicht

Einige wenige der Märtyrer erreichen uns – intakt. Ein Loch in der Brust, nun ja, aber der Rest ist normal. Und nun kommen Sie und wollen die anderen halbwegs intakten Männer einfach köpfen?! Madame, tun Sie das nicht! Sie nehmen uns das Schönste am Mann. Was bleibt dann für uns? Nur noch das Allerunterste vom Mann! Le zizi! Tag und Nacht – la queue de l’homme! Und kein Lächeln, kein kluger Satz – nichts mehr, weil Sie, Madame Le Pen, die Köpfe behalten wollen!

Madame, wir sind am Ende. Wir dürften eigentlich nicht klagen: Jede von uns hat 70 treue Dienerinnen, und eine ist schöner und klüger als die andere. Aber auch unsere Dienerinnen sind am Ende. Es sind viel zu viele junge, verstümmelte Männer im Paradies. Rien ne vas plus! Es reicht.

Madame Le Pen, wir sind keine Freundinnen der Gewalt. Wir sind Frauen, die das Leben lieben. Man hat uns nicht gefragt, als diese neuen Kriege in Afghanistan, im Irak, in Syrien begannen –und man hat uns nicht gefragt, als unsere Männer sich entschlossen, dort zurückzuschlagen, wo noch keine Kriege herrschen. Madame, wir haben genug Arbeit bis in alle Ewigkeit – machen Sie uns die letzte Freude nicht kaputt, die wir haben! Nicht la guillotine!

Wir sind keine Weintrauben

Wir finden es grausam genug, dass unsere Männer sich selbst in die Luft sprengen. Weil Ihre Männer, Madame Le Pen, unsere Männer und Frauen und Kinder in Ihren Kriegen zu Hunderttausenden töten. Wir haben damals am 11. September Ihrer Zeitrechnung hier oben eine Arbeitsgruppe gegründet – zur Grausamkeit von Männern im Krieg. Haben Sie die Selfies gesehen von den Brüdern des Islamischen Staates, die so morden, als wären sie selbst eine gerechte Guillotine? Wie sie dort mit ihren Kätzchen posieren! Wie lieb sie schauen, wie sanft, wie zärtlich sie die kleinen Babykatzen streicheln! Und? Was glauben Sie, wie diese Brüder mit uns umgehen? Was glauben Sie denn, wer hier oben die ganze Wut und Aggression und Verzweiflung ertragen muss, wenn diese Männer endlich merken, dass sie wirklich und wahrhaftig tot sind. Für alle Ewigkeit mit ihrem kleinen braquemard, mit le zizi und mit uns allein …

Madame Le Pen, wir sind keine Weintrauben! Wir sind Frauen. Bitte glauben Sie uns: Nichts ist anders hier oben als da unten bei Ihnen. Wir haben das Sein und das Nichts. Vor allem sehr viel Nichts.

In geduldiger Erwartung Ihrer Antwort und in großer Hoffnung auf Ihr Herz als Frau,

gez. Oberster Rat der Obersten Jungfrauen / 22. Januar 2015 (1436/37, Le Paradis)

AUFGEZEICHNET UND INS IRDISCHE ÜBERSETZT VON ELSE QUELLENBERG

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2 Kommentare

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  • Köstlich. Mir fällt zur Ergänzung gerade eine norwegische Kabarettistin ein. Sinngemäß: "Und was bekommen die Märtyrerinnen? 72 Jungmänner? Nicht so gut!"

  • Anfangs irritiert das Bild von Stefan Rürup, da es dem “Brief” die Wucht nimmt. Dann erkennt man die Asymmetrie zwischen den Parallelwelten von westlicher RTL-Dekadenz und nicht simulierter gesellschaftlicher Realität muslimischer Gesellschaften. Der Protest der Jungfrauen gegen die Todesrate muslimischer Männer als ästhetische Zumutung hat wohl aufklärerisches Potential auf sarkastische Art - über Todenhöfer hinaus. Der “Witz” verfing sich aber bei den Gedankenbildern von “roter” französischer Revolutions-Guillotine und aktuellen “Teppichmessern”. Marine Le Pen erreichte er mit diesen “Bildern” nicht. Andererseits regte der Wahrheits-Brief an, zu fragen: Was ist dran an den “Jungfrauen”, was Klischee? Nach Houellebecq nun auch “multi-theologischer Streß” durch Satire der Taz.