piwik no script img

Die WahrheitBockmist at its best

Empörungskultur: Im Internet ist selbst für Schwaben Platz. Hauptsache, dem Extremstuss wird nicht unnötig viel Raum geboten.

Shitstorm oder Solidarität mit Schwaben? Hauptsache raus aus der anonymen Masse. Bild: reuters

Thomas Pfäffle ist glücklich – vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Nie hätte der junge Schwabe damit gerechnet, eines Tages ins Scheinwerferlicht zu geraten, ja zur nationalen Berühmtheit zu avancieren. Vegetierte der 23-Jährige doch bisher eher auf der Schattenseite des Lebens: Nach dem Abbruch einer Bäckerlehre ist Pfäffle zurzeit erwerbslos, noch immer lebt er bei der Mutter in seinem Heimatdorf Trullingen auf der Schwäbischen Alb.

Vor wenigen Wochen saß der schmächtige Star-Wars-Fan wieder einmal nachts in seinem Kinderzimmer vor dem Computer, eine Flasche „Tannenzäpfle“ und eine Packung Papiertaschentücher in Griffweite. Um 2.37 Uhr war es, da postete Pfäffle auf seinem Facebook-Profil jene drei Sätze, die seine Medienkarriere eröffnen sollten: „Neger sind faul. Behinderte sind blöd. Und Frauen können nicht einparken, wenn sie ihre Tage haben.“

Fast wäre Pfäffles Botschaft unbeachtet durch die Maschen des Netzes gerutscht. Fast – gäbe es da nicht die Aktivisten des Bündnisses „Internet-Watch-24“, einer bundesweiten basisdemokratischen Initiative zur Überwachung der neuen Medien. „Unsere Gruppe hat inzwischen 759 Mitglieder“, erklärt ihr Sprecher Sören Freund. „Wir sind mittlerweile in der Lage, Facebook rund um die Uhr betroffenheitsorientiert nach offensiven Äußerungen von unbekannten Leuten zu durchsuchen. Ich bin wirklich happy, sagen zu können: In Deutschland wird kein diskriminierender Satz mehr ins Netz geschrieben, ohne dass wir uns empören und unsere Empörung mit der ganzen Welt teilen.“

Von einer völlig neuen Form der Öffentlichkeit spricht auch der Politologe Professor Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden: „Hirnverbrannte und ekelhafte Pöbeleien von Klemmnazis und Quartalsirren blieben früher weithin unbeachtet. Große Teile der deutschen Bevölkerung steckten dadurch verstummt in einer Repräsentationslücke. Als Medien standen für ihre Äußerungen ja allenfalls die Kabinenwände von öffentlichen Toiletten und die ’Junge Freiheit‘ zur Verfügung. Mit der Entwicklung des Internets bietet sich nun auch für Extremstuss jeder Art ein attraktiver Resonanzraum – ohne Zweifel eine große Bereicherung für unsere allzu politisch korrekt gewordene Demokratie!“

Am Sonntag wird er bei Günther Jauch sein

Über den Schwaben Thomas Pfäffle brach allerdings erst einmal ein sogenannter Shitstorm herein. Tausendfach wurden seine Äußerungen im Internet geteilt, versehen mit wütenden Kommentaren. Der Tenor der Kritik: So ein menschenverachtender Unsinn verdiene überhaupt keine Beachtung, sollte nicht verbreitet und aus dem öffentlichen Diskurs am besten verbannt werden. Allein Volker Beck von den Grünen veröffentlichte 17 Beiträge zum Thema, beantragte zudem eine Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag und rief zu einer Demonstration aller demokratischen Parteien, Religionsgemeinschaften und sonstiger Vereine vor dem Brandenburger Tor auf.

Wenig später, ja sogar ziemlich rasch, erhoben sich jedoch ganz andere Stimmen. In einer wie stets hochamüsanten Kolumne verteidigte Harald Martenstein den jungen Thomas Pfäffle gegen die Attacken der Gutmenschen. Dabei kam Martenstein wie immer in seinen Texten auch auf sich selbst zu sprechen: „Mich bezeichnet man inzwischen als bitteres Ressentiment, versetzt mit Süßstoff! Das ist Volksverhetzung! Die Neger, Mongos und Schlampen haben es dagegen doch leicht, die sollen nicht immer so rumheulen.“

Daraufhin ergoss sich eine Welle der Solidarität über Pfäffle – Politiker der AfD, FDP und NPD forderten den Schwaben dazu auf, sich nicht den Mund verbieten zu lassen. Der junge Mann aus Trullingen witterte seine Chance: Er richtete einen eigenen YouTube-Kanal ein und verbreitete in Videos neue Botschaften wie „Lesben müsste Mann es nur mal richtig besorgen!“ oder „Juden zahlen immer mit großen Scheinen.“ Schon nach dem ersten Video konnte sich Pfäffle über mehr als eine Million Follower freuen.

Die logische Folge: Am Sonntag wird er bei Günther Jauch sein. Auch wenn es dem Schwaben nicht gelingen sollte, einen vollständigen Satz zu formulieren, werden sich die anwesenden Politiker doch einig sein, dass man die Gefühle und Gedanken des jungen Mannes ernst nehmen muss. Soll doch Pfäffles bewegendes Schicksal bald von Til Schweiger verfilmt werden! Als Hauptdarsteller ist Til Schweiger im Gespräch.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!