Die WM ohne Südafrika: Lebt wohl, Bafana Bafana
Die WM ist vorbei, die Party geht weiter: Wie Südafrikas Fans den Sieg erleben, der für ihr Team das Aus bedeutet - ein kurioses Wechselbad der Gefühle, typisch für das Land
JOHANNESBURG taz | "Shosholoza!" Der Einpeitscher auf der Bühne hat es nicht schwer. 5.000 Menschen stimmen ein in das alte Arbeitervolkslied, das vom Durchhalten handelt. Das Fanfest von Newtown, dem schicken Vorzeigeviertel mitten in Johannesburg, wird zum ersten Mal in diesen Tagen zu einer echten Partyzone. Es ist Halbzeit. 2:0 führt Südafrika gegen Frankreich. Zwei Tore werden sie schon noch schießen, die Jungs von Bafana Bafana. "Auf gehts!", singen die Menschen: "Shosholoza!"
Alles, aber auch wirklich alles haben die Fans in Südafrika ihrer Mannschaft schon einmal zugetraut. 1996 war das. Die Mannschaft hatte gerade den Afrika-Cup gewonnen und spielte den amtierenden Weltmeister Brasilien in einem Freundschaftsspiel regelrecht an die Wand. 2:0 stand es zur Pause für Bafana Bafana. Viele waren sich sicher: Brasilien war gestern, die Zukunft gehört Südafrika. Dann kamen Flavio Conceicao, Rivaldo und kurz vor Schluss Bebeto. Brasilien gewann 3:2. Das Spiel markiert den Höhepunkt der sportlichen Selbstüberschätzung im südafrikanischen Fußball und den Beginn eines spektakulären Niedergangs.
Ribéry. Warum lässt er sich nicht gehen wie die anderen Franzosen? Mokoena. Das soll ein Kapitän sein? Frankreich hat den Anschlusstreffer erzielt. Die Stimmung schlägt um auf dem Platz unterhalb einer riesigen Autobahn. Wenn Stau ist, können die Fahrer von ihren Autos aus die Spiele auf dem Großbildschirm sehen. Der Gegentreffer Maloudas reicht, um die Fans regelrecht wütend zu machen. Viele schauen nicht mehr zur Leinwand. Jetzt glaubt niemand mehr ans Weiterkommen. Peinlich finden viele ihre Mannschaft. Sie schämen sich.
Auf den absoluten Tiefpunkt des Teams möchte indes keiner angesprochen werden. Am 13. Oktober 2009 verlor die Mannschaft, damals noch von Joel Santana trainiert, mit 0:1 gegen Island. Südafrika rutschte auf Platz 86 der Weltrangliste - hinter Haiti. Dass das Team bei der WM zur Einigung der Nation beitragen könnte, daran dachte damals niemand. Derweil versank der Fußballverband ganz tief im Chaos. Die Neuwahl des Präsidenten stand an. Die beiden einflussreichsten Fußballfunktionäre des Landes wollten auf den Thron: Danny Jordaan, Chef des WM-Organisationskomitees, und Irvin Khoza, Präsident der Profiliga. So giftig war die Atmosphäre, dass die Polizei sich veranlasst sah, vor dem Wahlkongress die Autos der Delegierten nach Waffen zu durchsuchen. Am Ende mussten beide ihre Bewerbungen zurückziehen. Kirsten Nematandani, von vielen als Marionette Jordaans bezeichnet, wurde Verbandspräsident. Khoza verließ den Kongress, ohne ein Wort zu sagen. Die Nationalmannschaft war so schlecht wie nie zuvor, und der Verband, in dem schon so viele Sponsoren- und Fifa-Millionen versackt sind, heillos zerstritten.
Südafrika kämpft weiter. Die wütenden Diskussionen auf dem Fanfest verstummen. Jetzt wollen alle nur noch eines. Südafrika soll dieses Spiel gewinnen, wenigstens dieses eine Spiel. Wenn eine Großaufnahme von Carlos Alberto Parreira gezeigt wird, stoßen etliche kräftig in ihre Vuvuzelas. Der Trainer, der das Team im letzten Herbst übernahm, hat den Fans ein wenig Stolz zurückgegeben. Schlusspfiff. Ganz laut wird es jetzt. Oben auf dem Viadukt wird gehupt. Die WM ist vorbei, die Fanparty geht weiter. Und wer gedacht hat, der WM-Tanz Diski sei eine Marketingerfindung des südafrikanischen Tourismusverbandes, der sieht sich getäuscht. Bis drei Stunden nach Abpfiff tanzen gut tausend Menschen in Reih und Glied.
Derweil hat Carlos Alberto Parreira sein Amt niedergelegt. Er hat dem südafrikanischen Fußball eine große Zukunft prophezeit und sagt Tschüss. Wer kommt jetzt: Khoza oder Jordaan? Die, die nicht tanzen, diskutieren. Als die Übertragung des nächsten Spiels beginnt, Nigeria gegen Südkorea, ist der Platz fast leer. Südafrikas Team hat den Menschen noch einmal eine große Party beschert. Die WM geht weiter. Irgendwie.
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