: Die Vergewaltigung des Erzählens
■ Die Schriftstellerin Lindsey Collen zum Verbot ihres Romans "The Rape of Sita" ("Sitas Vergewaltigung")
Vier Tage nach Erscheinen meines Buches „The Rape of Sita“ in Mauritius am 7. Dezember 1993 geriet das Buch in einen merkwürdigen Schwebezustand: Hindu-Fundamentalisten verhinderten seinen Verkauf, die Regierung verbot es, und es wurde von mir und meinem Verlag zeitweise offiziell aus dem Vertrieb genommen. Dieser Zustand dauert bis heute an.
Es begann damit, daß fundamentalistische Hindus innerhalb von 72 Stunden nach Erscheinen meines Romans die Öffentlichkeit des Landes derartig gegen mich aufbrachten, daß ich anonyme Mord- und Vergewaltigungsdrohungen erhielt. Auf Mauern waren Sprüche zu lesen wie „Lindsey Collens Vergewaltigung! Skandal folgt!“ Wir hörten, daß innerhalb einer besonderen Spezialeinheit der Polizei, der Special Mobile Force, die Stimmung gegen mich auf dem Höhepunkt sei und meine Verhaftung und die Beschlagnahmung des Buches unmittelbar bevorstünden.
Zu diesem Zeitpunkt hatte noch kaum jemand das Buch gelesen. Und obwohl 250 Leser ihr Exemplar im voraus bezahlt hatten, beschlossen mein Verlag und ich, den Roman aus den Buchläden zurückzurufen, um Zeit für eine öffentliche Diskussion zu schaffen. Danach wollten wir entscheiden, ob wir den Titel ändern sollten oder nicht. Wenige Stunden nach Zurückziehen des Romans aus dem Handel unterbrach Premierminister Anerood Jugnauth, der davon offenbar noch nichts wußte, die Parlamentsgeschäfte und verlas eine beispiellose Erklärung. Darin griff er mich an und sagte, ich hätte – Paragraph 206 Strafgesetzbuch – eine „Ungeheuerlichkeit gegen die öffentliche und religiöse Moral“ begangen, und daß ich mich womöglich auch der Blasphemie schuldig gemacht hätte – ein etwas merkwürdiger Vorwurf in einem säkularen Land ohne ein entsprechendes Gesetz ... Der Premier bezog sich auf seine Verfügung gegen Salman Rushdies Roman „Satanische Verse“ und gab der Polizei anschließend konkrete Anweisungen, gegen mich vorzugehen.
Ganz offensichtlich handelte der Premierminister unter dem Druck unserer sogenannten „Gemeindelobbies“. Ich bin nämlich nicht nur Schriftstellerin, sondern auch als Feministin bekannt – und Feministinnen sind allen Fundamentalisten, egal welcher Couleur, ein Dorn im Auge. Da mache ich keine Ausnahme, zumal ich auch noch in politischer Opposition zur Regierung stehe. Außerdem bin ich Mitglied einer Partei namens „Lalit“, aktive Gewerkschafterin, engagiere mich in einer Alphabetisierungskampagne und einer Mietervereinigung.
Obwohl das Buch zurückgerufen war, erschien am nächsten Tag die Polizei, um alle Restexemplare des Romans zu konfiszieren, und ich sollte eine Aussage für die polizeiliche Untersuchung machen. Mein Verlag und ich stellten fest, daß es keine rechtliche Grundlage für die Beschlagnahmung des Buches gebe, da der Roman nicht öffentlich zugänglich sei. Außerdem weigerte ich mich, eine Aussage zu machen. Wir behielten also die Bücher und verteilten sie an Freunde und Kritiker. „The Rape of Sita“ wurde inzwischen in der Presse ausführlich besprochen und hat im ganzen Land eine heftige literarische und politische Debatte ausgelöst. Frauen aller politischen Richtungen haben mich unterstützt, ebenso JournalistInnen und SchrifstellerInnen. Alle, die sich gegen das Buch ausgesprochen hatten – vom Premierminister bis zu den VerfasserInnen von Drohartikeln – haben zugegeben, es nicht gelesen zu haben.
Nach inzwischen mehr als einem halben Jahr schwebt das Buch immer noch zwischen Sein und Nichtsein. Am 19. Mai und noch einmal am 28. Juli habe ich an den Verantwortlichen geschrieben und ihn um Mitteilung über das Ergebnis der polizeilichen Nachforschungen gebeten. Am 5. August bekam ich die Auskunft, daß man meinen Fall bereits am 5. Januar 1994 der Staatsanwaltschaft übergeben habe.
Im Moment überlege ich, was ich als nächstes tun soll. Mein Verlag, Rechtsanwälte, meine Partei, die Frauenorganisation, in der ich Mitglied bin, und die Gruppe „Readers & Writers for Freedom of Expression“ beraten mich.
Ich glaube, daß sowohl die Regierung als auch die weniger irrationalen Fundamentalisten von Mauritius sich von den nationalen und internationalen Protesten haben beeindrucken lassen.
Aber gewonnen haben wir noch lange nicht. Im Gegenteil: ich glaube, wir müssen uns alle auf schwierige Zeiten gefaßt machen.
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