Die Verbreitung der Vogelgrippe: Ein Laster und die toten Tiere
Die Keulung der pommerschen Puten hatte Anfang November ein Cloppenburger Spezial-Unternehmen besorgt. Jetzt herrscht dort Vogelgrippe.
BREMEN taz | Nicht wie vom Friedrich-Löffler-Institut (FLI) favorisiert Zugvögel, sondern Laster des mit der Keulung der Greifswalder Puten beauftragten Stallhygiene-Unternehmens könnten den Vogelpest-Virus von Mecklenburg-Vorpommern nach Cloppenburg transportiert haben. Darauf weist das Wissenschaftsnetzwerk Aviäre Influenza hin. „Wir haben Videos von der Maßnahme ausgewertet“, sagt dessen Sprecher Werner Hupperich der taz, „und sind auf diese Spur gestoßen."
Tatsächlich lässt sich in einem Film der Delmenhorster „Nonstopnews“-Video-Nachrichtenagentur über den Vogelpest-Ausbruch in Heinrichswalde die Herkunft der Laster erkennen. „Von uns sind da keine Archivmaterialien reingeschnitten worden“, bestätigt deren Redaktion die Beweiskraft der Bilder. „Das sind ausnahmslos Originalaufnahmen.“
Dass mit der Vogeltötung dort ein Cloppenburger Spezial-Betrieb beauftragt war, ist brisant: Denn am Dienstag hatte sich dort, in Barßel-Harkebrügge, der Verdacht auf einen vom H5N8-Erreger ausgelösten Vogelpest-Ausbruch in einer Puten-Mastanlage bestätigt. Die Behörden hatten daraufhin neben der Keulung der 19.000 Truthähne in Harkebrügge angeordnet, 121.500 weitere Tiere zu vergasen, die in einem Umkreis von nur einem Kilometer gehalten wurden: Cloppenburg gehört nach dem benachbarten Emsland zu den Landkreisen mit der höchsten Geflügeldichte. In Südkorea, wo Anfang des Jahres der erste H5N8-Virus auftrat, waren im Verlauf der Epidemie gut zwölf Millionen Vögel gekeult worden.
Der Cloppenburger Laster auf der Greifswalder Farm ist kein Beweis. Aber nach der Einschätzung des Kieler Zoologie-Professors Sievert Lorenzen „eine heiße Spur“. Ähnlich äußert sich auch Siegfried Ueberschär, emeritierter Professor der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Zumal der Abtransport der getöteten Vögel nach seiner Einschätzung einen Beitrag zur Streuung des Erregers leisten kann: „Die Gefahr ist riesengroß“, sagt er.
Wie ein Zirkus-Magier
Beide Wissenschaftler blicken mit großer Skepsis aufs FLI, Lorenzen sogar mit Empörung wie er sagt: „Es ist schon erstaunlich, dass man über solche entscheidenden epidemiologischen Erkenntnisse vom FLI nichts hört.“ Andererseits grenze deren Verhalten ohnehin „an arglistige Täuschung“ so Lorenzen. Er wirft dem Bundesinstitut für Tiergesundheit vor, wie ein Zirkus-Magier die Aufmerksamkeit auf die Wildvögel zu lenken, "damit niemand aufs eigentliche Problem achtet". Das sei die Geflügelindustrie.
„Wenn uns unterstellt wird, eine Hypothese zu bevorzugen, finde ich das gar nicht lustig“, sagt FLI-Sprecherin Elke Reinking. Dass der – sie empörende – Eindruck entstehen kann, liege möglicherweise daran, „dass diese Sachen so schnell abgeklärt sind“, so Reinking. So habe das Greifswalder Unternehmen Einstreu und Futter aus der Region bezogen, auch sei es nicht durch die Unternehmensstruktur mit den betroffenen Farmen in den Niederlanden und England verbunden.
Im Landkreis Cloppenburg gibt es eine ganze Reihe auf Stallreinigung und -hygiene spezialisierte Dienstleister.
Der prominenteste von ihnen ist zweifellos die Oldenburger Fleischmehlfabrik Kampe (OFK) in Friesoythe, die auch die Tierkörperbeseitigungsanlage im Landkreis betreibt.
Die Laster der OFK haben regelhaft auch die jetzt betroffenen Barßeler Betriebe angefahren, um verendete Mastvögel abzuholen.
Sie sind auch in anderen Landkreisen Niedersachsens unterwegs – darunter im Oldenburger Land, im Emsland und im Landkreis Leer.
Mindestens dort war Anfang Dezember ein OFK-Kadaverwagen unterwegs, der zuvor in Barßel Station gemacht hatte.
Ob den FLI-Experten der durch die Keulungs-Logistik hergestellten Beziehung zwischen Ausbruchsort Heinrichswalde und Ausbruchsort Barßel bereits bekannt war,hat sich bis Redaktionsschluss nicht ermitteln lassen können. Und dass die Zugvogelroute und das Ausbruchsgeschehen einfach nicht zusammenpassen, „das sehen wir nicht so“.
Ornithologen „haben da große Bedenken“, erinnert dagegen Ueberschär. So lägen die räumlich extrem entfernten Krankheitsereignisse zeitlich viel zu nah beieinander – von Korea über Nordpolarregion nach Europa, „das würde mindestens drei Jahre dauern, bis das Virus hier wäre“.
Dass H5N8 desselben Stamms wie in Cloppenburg am 16. Dezember auch an einem Volièren-Falken im US-Bundesstaat Washington festgestellt wurde, bestärkt solche Zweifel, auch wenn der mit geschossenen Wildvögeln gefüttert worden ist: Zuvor hatte die Pest im benachbarten British Columbia Station gemacht, in zwei Putenfarmen. Wenn man sehe, „wie der Kot aus der Geflügelhaltung fast ohne jede Kontrolle und oft unabgedeckt auf Felder ausgebracht wird“, so Ueberschär, könne man sich indes sehr wohl „vorstellen, dass sich Wildvögel dort infizieren“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut