: Die Union wird von Kreuzschmerzen geplagt
■ Die Debatte um das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts bleibt schrill. „Die Welt“ soll auf den rechten Kurs zurückkehren, fordert Aktionär Leo Kirch
München (taz/AP/dpa) – „Man muß dem Teufel das Kreuz ins Gesicht schlagen“, sprach Luther vor gut vierhundert Jahren. In der gesamten Bundesrepublik versuchten auch am Wochenende CDU/ CSU-Christen mit unverminderter Energie, diesem Spruch zu folgen: Der Streit um das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hält an.
CDU-Generalsekretär Peter Hintze forderte eine „Selbstbesinnung“ der Karlsruher Richter. Sie sollten gefälligst überlegen, ob sie durch ihr Urteil „die Aufgaben anderer Verfassungsorgane übermäßig“ berühren. Joachim Hörster, Geschäftsführer der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, wünschte sich eine Debatte darüber, „wie die Mehrheit der deutschen Bevölkerung vor der Erpressung durch Minderheiten geschützt werden“ könnte.
Aus Helmut Kohls Kabinett meldeten sich drei Politiker mit Kreuzschmerzen zu Wort. Claudia Nolte, Familienministerin, erklärte, das Urteil widerspreche dem Empfinden der Mehrheit. Carl-Dieter Spranger, Entwicklungshilfeminister, sprach von einem „unverantwortlichen Urteil“, und Jürgen Rüttgers, Bildungsminister, forderte ebenfalls Respekt vor der Meinung der Mehrheiten. Lediglich der frühere Verfassungsrichter Helmut Simon, aktiver Protestant, sagte, ein solches Urteil sei längst überfällig.
Daß der Tonfall in der Kruzifix- Debatte auch drei Tage nach Veröffentlichung des Urteils noch so schrill ist, dürfte wohl vor allem an der Furcht vieler Politiker vor weiteren antiklerikalen Schritten liegen. So sorgte sich der evangelische Staats- und Kirchenrechtler Axel vom Campenhausen, daß demnächst auch „das Schulgebet oder die Weihnachtsfeier“ abgeschafft werden könnten.
Von der staatlichen Einziehung der Kirchensteuer sprach Campenhausen zwar vorsichtshalber nicht, doch daß dies zu seinen Alpträumen gehört, kann man sich ausrechnen – zumal schon heute immer weniger Kirchensteuer fließt: Eine dpa-Umfrage ergab, daß die Zahl der Kirchenaustritte im ersten Halbjahr 1995 sprunghaft gestiegen ist. In vielen Großstädten stieg die Aussteiger-Quote, verglichen mit 1994, um über 50 Prozent.
Auch die Medienwelt bleibt nicht unberührt von der christlichen Grundsatzdebatte: Aus der Springer-Zeitung Die Welt wurde der erste christlich motivierte Zensur-Versuch publik. Weil ein ehemaliger Richter das Karlsruher Urteil in einem Gastkommentar verteidigen durfte, fordert Springer-Großaktionär Leo Kirch nun den Rücktritt des Chefredakteurs. Entsetzt habe er festgestellt, daß „ausgerechnet eine Tageszeitung unseres Verlages diese haarsträubende Entscheidung verteidigt“, schrieb der 35-Prozent-Aktionär und 100-Prozent-Katholik Kirch an den Vorstand.
Bisher durfte der Chefredakteur Thomas Löffelholz im Amt bleiben. Offenbar gestützt von der 50-Prozent-Aktienmehrheit der Axel-Springer-Erben, erklärte der Vorstandschef Bernhard Servatius, man respektiere die Kompetenz von Löffelholz. Felix Berth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen