■ Die Union macht gegen die doppelte Staatsbürgerschaft mobil: Stimmen aus dem Gestern
Aller Anfang ist schwer. Dies gilt in diesen Tagen im besonderen Maße für die Union. Bemüht übt sie sich in der ungewohnten Rolle der Opposition. Und was da aus den Zentralen von CDU und CSU tönt, wirkt angesichts der Aufbruchstimmung in Bonn reichlich vermufft. Stimmen aus dem Gestern.
„Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft als Regelfall zu bekämpfen“, kündigte der Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble an. Notfalls werde man deshalb den Europäischen Gerichtshof anrufen. Das ist als Kampfansage gedacht, als Ankündigung, daß die Schonfrist für die neue Regierung bereits vorbei ist, noch ehe sie ihre Geschäfte aufnehmen konnte. Der konservative Block sondiert das Terrain, auf dem er glaubt, in Zukunft erfolgreich gegen die neue Regierung in die Arena steigen zu können. Vorläufiges Ergebnis: Die Union schreitet unbeirrt weiter auf den ausgetretenen Pfaden, die in die Wahlschlappe mündeten.
Sicherlich, die Gesellschaft ließ sich in den letzten zwanzig Jahren mit dem „Ausländerproblem“ wirksam polarisieren. Es war ein Thema mit hohem Emotionalitätsfaktor, mit dem sich mühelos Ängste mobilisieren ließen. Nutznießer war in der Regel die Union. Aus Sicht der Opposition wäre es also töricht, diese Chance ungenutzt vorüberziehen zu lassen. Tradition verpflichtet. Dies um so mehr, als ein Teil der Bevölkerung davon überzeugt ist, das Doppelte der Staatsbürgerschaft sei ein Privileg für Ausländer. Aber es ist unwahrscheinlich, daß dieser Teil noch allzugroß, geschweige denn kampagnentauglich ist. Das Empörungspotential wird nicht mehr ausreichen, um mit der Skandalisierung des Themas doppelte Staatsbürgerschaft die Gesellschaft zu spalten, wie Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber gestern warnte. Richtiger muß man wohl sagen, wie er hofft.
Nicht nur die Regierung hat sich geändert, sondern in den letzten Jahren auch die Einstellungen der Wähler. Die Unionskampagne wird sich als Sturm im Wasserglas entpuppen – wie einst ihr Furor gegen die Unterzeichnung der Ostverträge durch Willy Brandt. Am Ende, wenn die Gerichte die Unionsklagen abgelehnt haben und die Mehrheit der Bürger ihrer Empörung nicht folgt, wird die Union für alle sichtbar als Modernisierungshemmnis dastehen. Als eine Partei, unfähig zur programmatischen Erneuerung, die mit Konzepten der Vergangenheit einen Anspruch auf Gestaltung der Zukunft reklamiert. Eine Partei von gestern eben. Eberhard Seidel-Pielen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen