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Die „Umweltfahrkarte“ ist ein Renner

■ Die Neuorientierung der öffentlichen Nahverkehrspolitik setzt sich in Großstädten nur mühsam durch / „Bremer Karte“ nach fünf Monaten durchaus erfolgreich / Das „Basler“ Modell einer subventionierten Nahverkehrs–Politik sucht noch Nachahmung im Auto–Staat Bundesrepublik Deutschland

Aus Bremen Klaus Wolschner

Seit fünf Monaten hat die Bremer Straßenbahn auch besondere Angebote für Schwarzfahrer: Mit 40 Mark im Monat sind sie dabei, im Jahresabo schon mit 35 Mark. Genau soviel kostet nämlich die „Bremer Karte“, eine Monatskarte zum preiswerten Tarif, andernorts „Umweltfahrkarte“ genannt. Sie sieht wie eine Scheck– Karte aus und ist auch mit anderen individuellen Motiven zu haben: neben der schon angesprochenen „Schwarzfahrerkarte“ in dem dazu passenden Farbton, die Werder–Bremen–Fan–Karte, pünktlich im Dezember auch mit dem Weihnachtsmann, auf Bestellung mit individuell wählbaren Motiven. Die Karte gilt fürs ganze Streckennetz. und sie ist übertragbar, d.h. nicht personengebunden. Die Preissenkung hat nicht zu einem größeren Defizit bei den öffentlichen Verkehrsmitteln geführt. Insgesamt rechnet Pressesprecher Pietsch mit 17.000 „Umsteigern“ vom Auto auf die Bahn. Die Bremer Verkehrsbetriebe mußten zu ihrem Renner regelrecht geprügelt werden. Noch im März 1984 beschloß das Landesparlament einen differenzierten Streckentarif, der die Fahrten für die Randgebiete der Stadt teurer machte und Fahrradfahrer im Stadtzentrum mit einem „Kurzstreckentarif“ von 1 Mark aus dem Sattel locken sollte. Im Arbeiterwohnbezirk Tenever gab es Bürgerversammlungen gegen die Nahverkehrspolitik der Stadt, die den Fahrplan ausdünnte, die Preise immer wieder anhob und so einen steten Fahrgast–Rückgang von ca. sieben Prozent pro Jahr erzielte. „Keiner hat uns bisher erklärt, wie man ohne mehr Subventionen den Einheitstarif halten könnte“, erklärte damals der SPD–Fraktionssprecher Kunick der verärgerten Opposition von Grünen und CDU. „Alternativen - keine“ stand in der Beschlußvorlage. Nur ein halbes Jahr später präsentierte der Grünen–Abgeordnete Peter Willers die Alternative zu der Preispolitik der Verkehrsbetriebe: Er fuhr mit einer Gruppe von Lokaljournalisten nach Basel und Freiburg, wo mit preiswerten „Umweltfahrkarten“ von 35 Mark das Fahrgastaufkommen gesteigert worden war. Der Verwaltungsrat der Basler Verkehrsbetriebe, Pius Marrer, war angesichts der Schädigungsrate des Schwarzwaldes auf die Idee gekommen. Die Bremer Sozialdemokraten wollten damals von der Idee nichts wissen. Im Februar 1985 lehnte die Bremer SPD einen Antrag der Grünen mit der Begründung ab, das „Tarifgefüge“ würde durch eine Umweltkarte „zerstört“, und der Schadstoffgehalt der Luft sei in Freiburg doch nicht gesunken. Im Mai desselben Jahres kam dann die Bremer Straßenbahn–AG (BSAG) auf eine eigene Idee: nicht „grün“ und „Umwelt–“, sondern „blau“ sollte die neue Karte heißen. Sie sollte nicht für Berufstätige gelten, sondern gezielt Hausfrauen motivieren, den Zweitwagen in der Garage stehen zu lassen. Die Karte, die dann tatsächlich eingeführt wurde, galt „montags bis freitags von 9 bis 24 Uhr“. Ab 19 Uhr durfte frau sogar zwei Kinder mitnehmen, an Wochenenden zwei Erwachsene und „eine unbegrenzte Zahl von Kindern, die zum Haushalt der Erwachsenen gehören müssen. Der Inhaber muß nicht mitfahren.“ „Alternativen: keine“ stand wieder in der Vorlage des Parlamentsausschusses. Die Bremer Hausfrauen mit Zweitwagen scheinen den Fortschritt nicht verstanden zu haben. Im ersten Monat wurden ganze 548 Stück von dem blauen Konstrukt verkauft, im Wintermonat Dezember stieg die Zahl auf 1.709 - nicht einmal die Werbeausgaben waren gedeckt, ein voller Flopp. Die Bremer nahmen gleichzeitig zur Kenntnis, daß in Osnabrück, Kaiserslautern, Kiel, Mainz, Wiesbaden Initiativen für eine Umweltschutz–Karte be schlossen worden waren. Gleichzeitig mit dem Eingeständnis des Mißerfolgs begannen die internen Verhandlungen um die richtige „Umweltkarte“. Im Oktober 1986, also zwei Jahre nach der Basel–Freiburg–Tour des Grünen Abgeordneten, feierte die Bremer Straßenbahn ein großes Fest: Die übertragbare „Bremer Karte“ mit dem Umwelt–Lockpreis von 40 Mark (im Jahresabo 35 Mark) war da. Seitdem versorgt das städtische Unternehmen die Presse regelmäßig mit ihren Erfolgsmeldungen und ihren neuen Werbeideen für die Image– Kampagne. Inzwischen gilt die „Bremer Karte“ auch im Nordverbund von Neumünster, Kiel, Hameln, Osnabrück, Celle, Braunschweig und Bremerhaven - man ist also da gut beraten, sich die Monatskarte von einem Bremer Freund besorgen zu lassen. 15.000 neue Monatskarten–Kunden registrierte die BSAG im ersten Monat, dem Oktober. Die Straßenbahn verkaufte im Januar 1987 insgesamt 79.000 Stück, im Januar 1986 waren es genau 32.000 normale Monatskarten gewesen. Wochenkarten sind derweil kaum noch gefragt, und viele Sammelfahrschein–Käufer haben für sich ausgerechnet, daß sie ab 20 Fahrten im Monat schon mit der „Bremer Karte“ billiger fahren. Nicht überall ist die „Umweltkarte“ auf dem Vormarsch. Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) wehrt sich zur Zeit noch vehement gegen die Unterstellung, auch in der Schwesterstadt sei die Einführung einer „Umweltkarte“ geplant. Der HVV dementierte prompt eine Hauswurfsendung, die auch per Anzeige in der Hamburger Lokaltaz mit Bestell–Coupon für die Umweltkarte erschien: „Allen Journalisten in Hamburg, die sich mit diesem Thema beschäftigen“, sei bekannt, daß wieder mal parlamentarisch über die Umweltkarte palavert würde, und die Beratungen „noch nicht beendet“ seien. Vorbildliches Basel In Freiburg, wo gegen den Widerstand des SPD–Oberbürgermeisters, mit rot–grüner Stadtratsmehrheit eigentlich nur die normale Monatskarte in eine preiswertere „Umweltfahrkarte“ umbenannt wurde, hat sich das Fahrgastaufkommen immerhin so erhöht, daß kein Defizit in der Kasse der Verkehrs–AG entstand. 1983 fuhren dort ca. 7.000 Bürger mit Wochen, Monats– oder Jahreskarten. Heute werden ca. 16.000 übertragbare Umwelt– Monatskarten im Jahresdurchschnitt verkauft. Der Einzelfahrschein–Verkauf ist dabei nicht wesentlich zurückgegangen. Da die Freiburger Verkehrspolitik weder den Umlandverbund noch den Ausbau des Streckennetzes betrieben hat, stagniert die Entwicklung der „Umweltkarte“ - saftige 20 Prozent Preiserhöhungen sind im Gespräch. Vorbild für die Umweltkarte bleibt somit Basel. Dort ist sie inzwischen zum Universal–Ticket für die Nordwest–Schweiz geworden, die auch für Bundesbahn und Postbusse gilt. In der gesamten Schweiz wird seit 1984 systematisch der öffentliche Nahverkehr entwickelt und selbstverständlich wie andere öffentliche Aufgaben subventioniert. In dem Alpenland, vielleicht ist das der kleine Unterschied, gibt es keine Auto–Industrie als Lobby gegen eine Verkehrspolitik im öffentlichen Interesse.

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