: Die US–Außenpolitik
■ Irangate hat gezeigt, daß die Koordination der US–Außenpolitik zusammengebrochen ist / Dennoch wenig Hoffnung auf grundlegende Änderungen / Die Zerstrittenheit der Demokratischen Partei und die Zwei–Parteien–Koalition des „nationalen Interesses“ machen effektive Regierungskontrolle schwierig / Die Auseinandersetzung geht eher um die geistigen Fähigkeiten des Präsidenten
„Ich bin überzeugt, daß unsere Nation einen radikalen Wertewandel vornehmen muß, damit wir auf die richtige Seite der Weltrevolution gelangen. Solange Maschinen und Computer, die Gier nach Profit und das Beharren auf Eigentum wichtiger erachtet werden als Menschen, wird das gigantische Dreigespann von Rassismus, Materialismus und Militarismus nicht besiegt werden können.“ (Martin Luther King Jr., April 1967)
Dies sind Sätze aus der wohl bittersten Rede des Bürgerrechtsführers, in der er sich zum ersten Mal öffentlich zum Vietnam–Krieg äußerte. Dieser Krieg symbolisierte in seinen Augen alles, was falsch lief im Verhältnis der Vereinigten Staaten zum Rest der Welt; vor allem war für King deutlich geworden, daß die Bevölkerung zu bereitwillig den Politikern hinterherlief, zu leichtgläubig war, wenn diese eine Bedrohung amerikanischer Interessen erkannt zu haben glaubten. Nichts Geringeres stand für King auf der Tagesordnung als die Frage nach der Bedeutung moralischer und ethischer Prinzipien für die Politik seines Landes. Für Ronald Reagan stand dagegen zur Disposition, ob man denn den Status quo akzeptieren und tatenlos zusehen solle, während weite Teile des Globus vom „Reich des Bösen“ unterjocht sind, oder ob Amerika stark genug werden solle, um die Ausbreitung „demokratischer Regime“ zu ermöglichen. Man kennt diese pompösen Floskeln und übersieht dabei leicht, daß die Sprachregelung für den Alltagsgebrauch sehr viel ehrlicher ist. Da werden dann schlicht die „nationalen Interessen“ herangezogen, wenn es gilt, außenpolitische Maßnahmen zu rechtfertigen. Solche „nationalen Interessen“ können erfordern, in Grenada einzumarschieren oder die libysche Hauptstadt zu bombardieren; bisweilen bedeuten sie auch, daß ein abgehalfterter Diktator wie Baby Doc oder das Marcos–Duo mit sanftem Druck von der Bühne geschoben werden. Das „nationale Interesse“ hat jedenfalls Vorrang vor Prinzipien wie der Selbstbestimmung anderer Nationen oder der Gültigkeit internationalen Rechts. Verfrühter Abgesang Weil in der Frage der Waffenlieferungen an das Khomeini–Regime selbst innerhalb von Reagans Kabinett umstritten ist, ob man damit dem „nationalen Interesse“ einen Dienst erwiesen hat, ist die Präsidentschaft Ronald Reagans in ihre schwerste Krise geraten. Daß damit jedoch das öffentliche Urteil über seine politischen Strategien gefällt sei, ist ebenso unzutreffend wie die zu Beginn der Krise aufgekeimte Hoffnung, nunmehr werde für die Oppositionsbewegungen in den Vereinigten Staaten die Morgendämmerung anbrechen. Die Krise um die doppelzüngige Politik gegenüber dem Iran sowie um die illegale Finanzierung der antisandinistischen Contras wirft zunächst die Frage auf, in welcher Form sie vom politischen System bewältigt werden kann. Die politische Elite der USA forderte vor allem den Austausch der Akteure, die die Krise verursacht hatten. Längerfristig kommt aber die Frage nach der Lernfähigkeit der Außenpolitik Washingtons auf und zwar nach der Lernfähigkeit ihrer Institutionen ebenso wie der der Öffentlichkeit. Überprüft werden müssen mehrere Grundprämissen Reaganscher Außenpolitik: Die ge heime Öffnung gegenüber dem Iran hat gezeigt, daß die rigide Anti–Terrorismus–Politik, bei der jeder Kontakt mit Staaten, die antiamerikanische bewaffnete Untergrundorganisationen unterstützen, zu unterbleiben hat, mit den globalstrategischen Interessen der USA nicht vereinbar ist. Diesen Widerspruch hat Reagan selbst benannt: Die vermeintliche Bedrohung durch die Sowjetunion war laut seiner ersten Stellungnahmen der Grund, warum neue Kontakte mit dem Iran angeknüpft werden sollten - obwohl pro–iranische Gruppen im Libanon weiter Anschläge gegen die Weltmacht durchführten. Aus dem gleichen Grunde entging noch ein zweites Land in der Region auf scheinbar wundersame Weise dem Zorn Reagans: Syrien nämlich, das seine Finger mindestens ebenso tief im Anschlagsgeschäft hat wie der Iran, ist zu wichtig für eine Nahostregelung im amerikanischen Sinne, um es zum Ziel antiterroristischer Vergeltungsmaßnahmen zu machen. Zusammengebrochen ist ganz offensichtlich auch die Arbeitsteilung der verschiedenen Ministerien und Agenturen amerikanischer Außenpolitik. Die Planung und Ausführung zentraler außenpolitischer Initiativen der Reagan– Administration - der Zentralamerika–Politik und der Anti– Terrorismus– Kampagne - ist von Reagans Beratern dem State Department und dem Pentagon aus den Händen genommen worden und in die Obhut eines fragwürdigen Oberstleutnants im Keller des Weißen Hauses übergegangen. Was dann geschah, erinnert mehr an die Gedankenwelt eines James Bond als an traditionelles Washingtoner Bürokratenhandwerk. Doch dieser Eklat, das garantieren schon die professionellen Eitelkeiten des Apparats, wird schnell Resultate zeitigen. Es geht um Strukturen, nicht um Inhalte, was die Aufgabe erheblich erleichtert. Endgültig diskreditiert hat sich darüber hinaus die Politik Washingtons gegenüber den antisan dinistischen Contras, nachdem frühere Auflagen des Kongresses durch den Nationalen Sicherheitsrat und die CIA in eklatanter Weise verletzt wurden. Die Reagan–Administration hat sich in eine Dämonisierung der Sandinisten als bedrohliche Fremdkörper im eigenen Hinterhof hineingesteigert, die jedenRealitätssinn zu vermissen und alle Mittel zu rechtfertigen scheint. Es hätte Oliver Norths krimineller Eskapaden nicht bedurft, um genug gute Gründe für eine fundamentale Kursänderung der amerikanischen Herangehensweise zu finden; doch war Reagan bisher in der Lage, weitreichenden Protesten zu begegnen und parlamentarische Abstimmungsniederlagen in seinem Sinne zu revidieren. Schwierige Lektionen Martin Luther Kings Protest gegen den Vietnam–Krieg, verstärkt durch den Widerstand an den Universitäten der USA, wurde von der amerikanischen Gesellschaft erst einige Jahre später nachvollzogen, der Schock kam dann aber so heftig, daß er in der Tat einen Lerneffekt auslöste. Bis heute ist die Mehrheit der Bevölkerung nicht wieder bereit, amerikanische Soldaten auf ein Schlachtfeld in der Dritten Welt zu schicken; es erscheint plausibel, daß die Erfahrung von 56.000 toten US–Soldaten in Südostasien die wichtigste Waffe ist, die den Sandinisten in ihrem Kampf ums politische Überleben zur Verfügung steht. Auch der Kongreß hat aus die sem Krieg gelernt. Nachdem bekanntgeworden war, daß Nixon lange Zeit Kambodscha bombardieren ließ, ohne daß das Parlament und die Öffentlichkeit davon wußte, wurde der „War Powers Act“ erlassen, der die Befugnis des Präsidenten, Truppen zu entsenden, auf eine Dauer von 90 Tagen begrenzt - ein beispielloser Eingriff in die außenpolitischen Befugnisse des Präsidenten. Doch als 1984 einige Abgeordnete im Kongreß die Voraussetzungen für die Anwendung des Gesetzes als gegeben ansahen und ihre Macht in die Waagschale werfen wollten, um die Marines aus Beirut abzuziehen, machten sie die bittere Erkenntnis, daß der „War Powers Act“ nicht eindeutig genug formuliert war, um die Macht des Präsidenten zu brechen. Die Watergate–Affaire drehte sich in ihrer ersten Phase um die Wahlkampfpraktiken des Weißen Hauses von 1972. Nixons Wiederwahlkomitee hatte eine breitangelegte Sabotage– und Überwachungskampagne gegen die Demokraten unter George McGovern unternommen, die letztlich von Nixons früherem Justizminister Mitchell und seinem Stabschef Haldeman geleitet wurde. Der Einbruch ins demokratische Wahlkampfhauptquartier im Washingtoner „Watergate“–Hotel war dabei nur eine Episode unter vielen. Was Nixon jedoch das Amt kostete, waren seine Versuche, die Untersuchung dieser Kampagne zu behindern, zuletzt durch die Weigerung, die Tonbänder seiner Gespräche im Oval Office herauszugeben. Der monatelange Kampf um die Bänder, ausgetragen zwischen Richtern, dem Parlament und dem Präsidenten, drehte sich um nichts geringeres als die Grenzen der Macht Nixons. Der immense Schaden, der dabei für das politische System der Vereinigten Staaten entstand, bestand im „Bruch des Vertrauens“, wie es der Autor Theodore H. White formulierte, zwischen der amerikanischen Öffentlichkeit und dem Präsidenten. „Irangate“ scheint sich dagegen weniger um die Macht als um die politische Kompetenz und die geistigen Fähigkeiten des Präsidenten zu drehen. Immerhin, die Institutionen versuchten in der Folge von Watergate, Lehren zu ziehen. Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurde der Geheimdienst CIA, der von Nixon zur Vertuschung der Wahrheit eingesetzt worden war, einer gründlichen Überprüfung unterzogen. Die Anhörungen des Senatsausschusses unter Frank Church in den Jahren 1974 und '75 führten zu einer stärkeren Kontrolle der CIA durch das Parlament. Der „Irangate“–Skandal, soviel ist jetzt schon klar, hat die Ineffektivität dieser Kontrollmechanismen aufgezeigt. Es ist Nixons zweifelhaftes Verdienst, den Beruf des Politikers so eng mit dem Begriff der Unehrenhaftigkeit verbunden zu haben, daß seitdem das Desinteresse vieler Bürger an Politik noch gewachsen ist. Ihre Apathie und ihr Zynismus hat sich bis zu einem Punkt gesteigert, an dem die Mehrheit ihre einzige Einflußmöglichkeit, das Wahlrecht, nicht mehr wahrnimmt. Für die politische Kultur der Vereinigten Staaten war die Wahlbeteiligung von knapp 38 Prozent im vergangenen November wesentlich bedeutsamer als die Tatsache, daß die Demokratische Partei die Kontrolle über den Senat zurückerlangte. Kongreßabgeordnete werden nicht für ihre außenpolitischen Ansichten gewählt, sondern um einen Wahlbezirk in Washington zu vertreten und möglichst viele Regierungsgelder und Arbeitsplätze für seine Bevölkerung zu sichern. Für die Parteien als ganze sind ferne Länder darüber hinaus kein Thema für ausgedehnte Rivalitäten: Die beste Außenpolitik ist die von beiden Parteien getragene; „Bipartisanship“ heißt das Zauberwort, mit dem das Parlament in den Konsens mit dem Präsidenten gezwungen wird. Viele Faktoren sind es also, die eine effektive Oppositionsrolle der Demokratischen Partei in außenpolitischen Fragen verhindern - doch der wichtigste ist sicher ihre eigene Zerstrittenheit. Die demokratische Partei hat keine einheitliche Position zur MittelamerikaPolitik, zur Abrüstung oder zum SDI–Programm. Antikommunismus ist ihr ein ebenso hoher Wert wie Reagans Republikanern. Uneinigkeit herrscht auch über den Umgang mit der „Irangate“–Affaire: Zwar bietet sie eine gute Gelegenheit, den Republikanern Fehler nachzuweisen und an der Popularität Reagans zu kratzen, doch schlimmer wäre es für sie, sich wegen zu weitreichender Kritik die „Demontage des politischen Systems“ vorwerfen zu lassen. Jesse Jackson, ein Mann aus der Tradition Martin Luther Kings, ist vielleicht die einzige Persönlichkeit innerhalb der Demokratischen Partei, die Kings politisches Credo als ganzes glaubwürdig zu vertreten in der Lage ist. Seine „Regenbogenkoalition“ ficht einen undankbaren Kampf gegen den zunehmenden Rechtstrend der Partei. Bewegung im Gegenwind Oppositionsbewegungen außerhalb des Parlaments ist es bisher schwergefallen, Reagans außenpolitische Unternehmungen ihrer ideologischen Ummantelung zu berauben und die Elle eines anderen Wertesystems anzulegen, in dem die Einhaltung von Menschenrechten, die Respektierung nationaler Souveränität und der Wert menschlichen Lebens einen hohen Stellenwert hat. Zwar ist eine Mehrheit der US–Bürger und -Bürgerinnen gegen eine Unterstützung der Contra, doch hat dies die von den USA finanzierte Konterrevolution nicht zu bremsen vermocht. Gerade im Fall von Zentralamerika haben auch die Kirchen eine wichtige Rolle gespielt, um der ideologischen Propaganda eine moralische Botschaft entgegenzusetzen. Die „Sanctuary“–Bewegung, die Flüchtlinge aus Zentralamerika in Kirchen versteckt und in sichere Länder wie Kanada bringt, ist durch die Verknüpfung ihrer moralischen Vorstellung mit einer bewußten Mißachtung von Gesetzen ein legitimer Erbe der Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre. Es ist schwer zu sagen, warum die Haltung der Kirchen in so außerordentlich geringem Maße auf die staatliche Politik abgefärbt hat. Es liegt weniger am politischen Geschick und des Präsidenten als an dem fortgesetzten Anspruch der US–Eliten zur Welthegemonie. Das politische System der Vereinigten Staaten wird sich durch die „Irangate“–Affaire allenfalls geringfügigen Korrekturen unterziehen - die Wähler werden die intellektuellen Kapazitäten ihrer Präsidentschaftskandidaten genauer betrachten, falls sie es nicht vorziehen, noch zynischer zu werden - Spötter sagen schon seit einiger Zeit, daß die entscheidende Frage nicht, wie bei Nixon, „Was wußte der Präsident und wann wußte er es?“ laute, sondern „Was wußte Reagan und wann hat er es vergessen?“ - und der Kongreß wird nach besseren Kontrollmöglichkeiten der Administration verlangen.
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