■ Die USA befinden sich in einer Staats- und Verfassungskrise: Verrückte Querelen?
Seit die USA sich an keinem Gegenspieler mehr abarbeiten müssen, verbeißen sie sich in sich selbst. Im Herbst könnte das Kapitol zur Bühne eines grotesken Schauspiels werden: Der Präsident wird vor dem Parlament nach intimen Details seines Verhältnisses zu Monica Lewinsky befragt, während auf Geheiß des Repräsentantenhauses Polizisten ins Justizministerium eindringen, um Dokumente zu beschlagnahmen und die Justizministerin in Handschellen im Kapitol vorzuführen.
Sonderermittler Kenneth Starr hat die Verfassung bereits einer Zerreißprobe unterworfen, als er den Präsidenten zur staatsanwaltlichen Vernehmung vorlud, nun droht eine weitere: Kann das Parlament auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen Einfluß nehmen? Kann die Justizministerin zur Einleitung von Ermittlungen gezwungen werden? Die verrückt anmutenden Querelen sind nichts weiter als Stellvertreterkriege in einem Machtkampf zwischen Legislative und Exekutive, der eine Verfassungs- und Staatskrise der amerikanischen Demokratie offenbart.
Im Streit zwischen Kenneth Starr und dem Weißen Haus geht es nur vordergründig um einen Sexskandal. Er ist die Fortsetzung eines fundamentalen politischen Richtungskampfes – mit juristischen statt mit politischen Mitteln und mit Regeln, die Schläge unter die Gürtellinie erlauben. Bei den Ermittlungen wegen Machtmißbrauchs des Präsidenten durch Zeugenbeeinflussung und wegen Obstruktion der Justiz geht es nicht nur um die Entmachtung Clintons, sondern um die Neuaufteilung der Macht zwischen den drei Gewalten sowie zwischen Bundesregierung und Einzelstaaten. Diese Auseinandersetzung, die im 19. Jahrhundert zum Bürgerkrieg geführt hat, ist noch immer virulent.
Bei den Ermittlungen wegen illegaler Wahlkampfspenden von Industrie und ausländischen Mächten an die Demokraten im Wahlkampf 1996 wiederum geht es um die Triebfeder amerikanischer Politik – um Geld. Wahlen gewinnt man mit Geld, und mit Geld nehmen Spender Einfluß auf Entscheidungen der Regierung. Die sich seit über einem Jahr hinziehenden Untersuchungen von Kongreß und FBI wegen der Wahlkampffinanzierung der Demokraten, mag Züge der Obstruktion tragen, sie berührt einen Nerv des politischen Systems und die Vorwürfe sind gravierend. Die Verfassungskrise, in die all diese Ermittlungen geführt haben, spiegeln eine Krise des Systems wider, die letztlich zur weiteren Isolierung des Staats von der Gesellschaft führen wird. Peter Tautfest
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