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„Die Türkei weint“

Görmec (dpa) — Bei den Lawinenunglücken in Südostanatolien sind nach einer vorläufigen Bilanz 300 Menschen ums Leben gekommen. Die Zahl der Vermißten wurde am Montag morgen in Ankara auf zwischen 100 und 150 geschätzt. In dem Dorf Görmec an der türkisch- irakischen Grenze starben 71 Soldaten und 49 Zivilisten, zumeist Kurden.

Sonntag nachmittag im südostanatolischen Katastrophengebiet: Dutzende Journalisten und Fernsehteams sind teilweise auf eigene Faust, teils über gute Beziehungen zu den Sicherheitskräften dort angelangt, wo sie das Dorf Görmec vermuten. Einige Kurden kommen herbeigelaufen und sagen: „Ihr steht auf dem Dorf.“ Die häufigste Überschrift der türkischen Zeitungen lautete am Montag: „Die Türkei weint“.

Von Görmec in der Provinz Sirnak, wo rund 40 Häuser standen, ist seit dem Lawinenabgang vom Samstag morgen nicht mehr viel übrig geblieben. Am Dorfrand kämpfen Zivilisten und Soldaten mit Schaufeln gegen Schnee und Zeit. Vielleicht gibt es noch eingeschlossene Überlebende. Doch immer wieder werden nur erfrorene Körper entdeckt. Kurdinnen hocken derweil über den Toten und beweinen sie laut, wie es der Kulturtradition in diesen Regionen entspricht.

Einer der Soldaten, die die Region gegen die Kurdenrebellen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sichern sollen, erzählt, wie er sich und sechs Kameraden retten konnte: „Es gab einen großen Krach und die Erde bebte. Wir lagen alle im Bett und schliefen. Dann brachen die Schneemassen durch die Mauern unseres Gendarmeriereviers. Ich lag auch im Schnee. Ich erwischte einen harten Gegenstand und begann, damit einen Tunnel durch den Schnee zu bohren. Als ich mich ans Tageslicht gerettet hatte, sah ich, daß ich einen Löffel in der Hand hielt. Dieser Löffel rettete nicht nur mich, sondern sechs weitere Kameraden, die mir folgen konnten.“

Im Mittelpunkt des Geschehens steht der Dorfvorsteher, der Muhtar von Görmec, Ali Ergen: „Gegen drei Uhr kam eine kleine Lawine den Berghang runter. Deshalb warnte ich die rund 260 Menschen in meinem Dorf, weshalb sich viele von ihnen aus Angst mitten in der Nacht in die Nachbardörfer begaben. Als gegen sieben Uhr die große Lawine kam, sah ich, wie viele Häuser niedergerissen wurden, als ob sie aus Papier waren. Da ich vorbereitet war, konnte ich mich noch retten.“

Ob die kurdischen Widerstandskämpfer der PKK die Lawinen ausgelöst haben könnten, fragt sich die türkische Öffentlichkeit. Generalstabschef Dogan Güres weist solche Überlegungen zurück: „Die Lawinen haben ja nicht nur die militärischen Gebäude niedergemacht.“ Es starben auch viele Kurden, die in diesen Regionen den überwältigenden Bevölkerungsanteil stellen. Und Tayfun Yilmaz, einer der bekanntesten Bergsteiger der Türkei, meint: „Sie brauchen keine Bombe, schon ein Pfiff oder ein Händeklatschen kann genügen, um diese Massen von Schnee in Bewegung zu bringen.“

Hubschrauber der türkischen Armee sowie der in der Türkei stationierten US-Einheiten transportieren Hilfsgüter wie Zelte, Decken, Medikamente und Lebensmittel in die unwegsame Bergregion, wo Hunderte obdachlos gewordene Menschen zumeist in Moscheen, den solidesten Gebäuden ihrer Dörfer, Schutz gefunden haben. Ayse Kansu

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