■ Die Türkei geht auf Distanz zur Irak-Politik der USA: Unbequemer Bündnispartner
Die Türkei wird für die USA zunehmend unbequem. Außenminister Ismail Cem hat öffentlich verkündet: Die türkische Regierung werde auf keinen Fall zulassen, daß US-Kampfflieger vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik zu Offensivaktionen gegen den Irak starten. Damit hat sich die Truppe des Interims- Ministerpräsidenten Bülent Ecevit sehr viel weiter vorgewagt als alle Vorgängerregierungen. Das hat zum einen mit der Person Ecevits zu tun, der als linker Nationalist schon während der Vorbereitungen des Golfkriegs 1991 gegen die US-Politik protestiert hatte. Zum anderen aber auch mit der berechtigten Angst, Opfer einer verfehlten Politik der Clinton-Administration zu werden.
Viele Türken teilen inzwischen die Einschätzung: Was wollen die Amerikaner eigentlich im Irak, die werden uns noch in den Schlamassel hineinziehen. „Befinden wir uns etwa mit Irak im Krieg?“ fragte der Vorsitzende des Islamisten, Kutan, und beschwerte sich, daß das türkische Parlament vor der neuen Nutzung des Stützpunktes Incirlik durch das US-Militär nicht einmal gefragt wurde.
Die türkische Regierung hat wenig Interesse an einem Sturz von Saddam Hussein. In dem jetzt von Ecevit vorgelegten Plan einer neuen Irak-Politik wird der Erhalt der territorialen Integrität des Landes an die erste Stelle gesetzt. Damit hat er der Befürchtung Ausdruck gegeben, ein Sturz Saddam Husseins würde nur Chaos nach sich ziehen und Begehrlichkeiten der Nachbarstaaten wecken. Als weiteres Problem kommt die Kurdenfrage hinzu. Die Unterstützung kurdischer Parteien durch Washington ist dem politischen Establishment der Türkei zutiefst suspekt, weil diese, gewollt oder als Nebeneffekt, die Entstehung eines kurdischen Staats im Nordirak begünstigen könnte.
Falls die USA nicht bald ein überzeugenderes Konzept als die derzeitigen stupiden Bombardements angeblicher oder tatsächlicher militärischer Einrichtungen im Irak vorlegen, werden sie mit ihren türkischen Alliierten zunehmend Schwierigkeiten bekommen. Man kann davon ausgehen, daß die kritische Stimmung in den arabischen Nachbarländern noch weit massiver als in der Türkei ist. Saddam Hussein nutzt die Situation geschickt, um in der Region Stimmung gegen Kuwait und Saudi-Arabien zu machen. Die Warnungen aus Ankara zeigen, daß Clinton nicht mehr viel Zeit hat, wenn er nicht Gefahr laufen will, selbst die Unterstützung in Saudi-Arabien und Kuwait zu verlieren. Jürgen Gottschlich
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