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Die Trends für GewerkschaftenMindestlohn und Marken-Image

Die Jobwelt wird flexibler, die Bindung an die DGB-Gewerkschaften schwindet, das Mindestlohn-Dilemma – fünf Trends, auf die sich die Gewerkschaften einstellen sollten.

Jörg Hofmann, IG-Metall-Bezirksleiter in Baden-Württemberg, warnt bei einer Pressekonferenz vor den Folgen von mehr Leiharbeit. Bild: dpa

BERLIN taz | Der DGB und seine acht Mitgliedsgewerkschaften leiden unter einem Widerspruch, der typisch ist für die traditionellen Arbeitnehmerorganisationen. Je mehr Erwerbstätige in flexiblen Jobverhältnissen ackern, desto weniger können sie von den herkömmlichen Kampfformen der Gewerkschaften profitieren. Fünf Trends machen den Gewerkschaften zu schaffen:

1. Unbefristete Vollzeitstellen werden rarer und damit der Pool, aus dem sich Gewerkschaftsmitglieder vor allem rekrutieren.

40 Millionen Erwerbstätige gibt es in Deutschland, doch nur 22 Millionen haben sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen, Tendenz fallend. Davon sind überdies mehr als 600.000 Zeitarbeiter. Jeder Zehnte hat nur einen befristeten Vertrag. Und ein Drittel bis die Hälfte der Arbeitnehmer unterliegt gar keinem Tarifvertrag. Angesichts dieser Entwicklungen ist eine Mitgliederzahl von noch 6,3 Millionen bei den DGB-Gewerkschaften gar nicht so schlecht. Auch wenn es im Jahre 2000 noch 7,8 Millionen waren. Betriebsräte der IG Metall müssen sich anpassen - und verhandeln heute wie Co-Manager vor Ort über Öffnungsklauseln, Lohnverzicht, Beschäftigungsgarantien.

2. Arbeitskämpfe sind in den neuen Beschäftigungsformen, etwa der Zeitarbeit und der Solo-Selbständigkeit, kaum zu organisieren.

Unter den offenen Stellen ist fast jede fünfte nur noch ein Job in der Leiharbeit, heißt es bei der Bundesarbeitsagentur. Unter den Selbständigen ist jeder zweite Alleinunternehmer. Und das oft aus Not. In Deutschland gibt es eine heterogene Masse der Schwachen, für die Gewerkschaften einen Schutz organisieren müssen. Die Gewerkschaft Ver.di hat ein eigenes Referat für Selbständige und bietet für Mitglieder eine kostenfreie Beratung von Solo-Selbständigen an. Die IG Metall setzt sich in einer neuen Kampagne für die Gleichbehandlung von Zeitarbeitern und Stammbelegschaften ein.

3. Beschäftigtengruppen, die viel Durchsetzungskraft zusammenbringen, organisieren sich lieber in kleinen Berufsgewerkschaften.

In den vergangenen Jahren scherten kleine Gruppen wie Klinikärzte und Piloten mit dem Marburger Bund und der Vereinigung Cockpit aus den DGB-Gewerkschaften aus und kämpften eigenständig für höhere Entgelte. Das lässt die großen DGB-Gewerkschaften schwach aussehen. Diese Abwanderung betrifft allerdings vergleichsweise kleine Mitgliedergruppen. Und die öffentliche Meinung betrachtet die hohen Tarifforderungen der "unentbehrlichen Berufsgruppen" kritisch.

4. Der Lohnkampf hat sich auf die politische Ebene verlagert mit dem Streit um einen gesetzlichen Mindestlohn.

Eine gesetzliche Lohnuntergrenze ist auch eine Forderung der DGB-Gewerkschaften; käme sie, wäre das ein Erfolg auch der Gewerkschaften. Nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns müssten die DGB-Gewerkschaften aber versuchen, mehr für ihre Mitglieder herauszuholen, "um quasi ihre Existenzberechtigung nachzuweisen", sagt der Erlanger Gewerkschaftsforscher Claus Schnabel. Das könnte schwierig werden.

5. Die politisch-moralische Bindung an Gewerkschaften schwindet.

Arbeitnehmer müssen monatlich ein Prozent des Bruttolohnes als Beitrag an die Gewerkschaft zahlen. Erkämpfte Tariferhöhungen aber kommen allen Beschäftigten zugute. Wer keine emotionale Bindung an die Gewerkschaft hat, sieht daher oft nicht ein, Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Wichtig ist also das "Marken-Image" der Gewerkschaften. Sie versuchen, für Mitglieder mehr Service zu bieten in Form von Beratungen, Netzwerken im Web. Umstrittene "Flash Mob"-Aktionen, wo etwa der Verkauf im Einzelhandel im Rahmen von Streikaktionen gestört wurde, sollen Aktivisten-Appeal verbreiten und Jüngere ansprechen. "Wenn man jemanden in einer frühen Phase seines Erwerbslebens nicht dazu bringt, einer Gewerkschaft beizutreten, wird es ganz schwer, ihn jemals zu organisieren", sagt Schnabel.

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5 Kommentare

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  • B
    Bernd50

    Es gibt keine Gewerkschaften für die Arbeitnehmer

     

    Gewerkschaften ? Ich sehe nur überbezahlte postengierige,machtgeile Menschen.Es gibt ein Wort,daß die Gewerkschaften in Deutschland fürchten,wie der Teufel das Weihwasser.Sie hassen es.Sie würden es am liebsten aus dem Duden streichen lassen,es aus den Geschichtsbüchern verbannen,schwärzen und dem Vergessen zum Opfer fallen lassen.Oh ja,das tut so richtig weh.Wo man sich doch mit den Mächtigen geeinigt hat.Der Sessel ist so bequem und bringt viele Vergünstigungen mit sich.Wie ein warmes Tuch hüllt es sie ein.Das Millionen Arbeitnehmern nur auf ein Wort warten,daß Führung verspricht,sich zur Wehr setzen,gegen den unbeschreiblichen Sozialabbau,endlich den Banken und Zockern in den Arm fallen,gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum,daß wollen sie nicht aussprechen.Lieber soll die Gewerkschaft noch weiter schrumpfen.Es ist ihnen egal.Egal sind ihnen die Arbeitnehmer,egal sind ihnen die Soldaten in Afghanistan.Egal ist ihnen der Krieg sowieso.Egal sind ihnen die Menschen.Sonst würden sie sagen,daß jetzt die Grenze der Zumutbarkeit ,der Belastungen der Menschen in Deutschland erreicht ist.Flasche leer.Was haben sich Regierung erlaubt. GENERALSTREIK.

  • A
    asd

    es gibt ja bereits in verschiedenen berufsfeldern einen mindestlophn. bei steinmetzen ist der tarif z.b. um die 18€.

    ist man allerdings gezwungen sich über eine zeitarbeitsfirma anstellen zu lassen gilt dieser NICHT!

    eine zeitarbeitsfirma muss sich an keine mindestlöhne halten.

     

    hat zwar nicht unbedingt mit dem artikel zu tuhen.. ist aber trotzdem eine schweinerei

  • LA
    Lesender Arbeiter

    "Betriebsräte der IG Metall müssen sich anpassen - und verhandeln heute wie Co-Manager vor Ort über Öffnungsklauseln, Lohnverzicht, Beschäftigungsgarantien. "

     

    - In anderen Worten, die Gewerkschaften (das trifft ja sicher nicht nur auf die IG Metall zu) machen sich zu bereitwilligen Komplizen der Arbeitgeber anstatt gegenüber diesen die Interessen der Beschäftigten zu vertreten.

    Ob das zumindest eine Mit-Ursache für den Mitgliederschwund und die schwindende Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften ist? So manche/r Arbeitnehmer/in wird sich da fragen, wozu es noch eine Gewerkschaft braucht, um für weniger Geld länger arbeiten zu dürfen. Dafür sind schließlich schon die Arbeitgeberverbände zuständig.

     

    Und was den politischen Kampf um Mindestlöhne angeht - wer soll da politischer Ansprechpartner sein? Die SPD hatte unter Schröder sieben Jahre Zeit, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, statt dessen kam die Agenda 2010. Und für die Union ist ein Mindestlohn sowieso die Vorstufe zum Sozialismus.

     

    Dass wir uns nicht falsch verstehen, ich glaube nicht, dass die Gewerkschaften heutzutage überflüssig oder irrelevant sind. Aber solange sie nicht wieder anfangen, die Interessen der Arbeitnehmer/innen im Lande entschlossen und angriffslustig zu verteidigen, stellen sie ihre eigene Existenz in Frage. Die Arbeitgeberverbände kennen da schließlich auch kein pardon, und die Arbeitgeber, die sich gar nicht mehr um Tarifverträge scheren, sowieso nicht.

     

    "Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will" - daran sollte sich bei den Gewerkschaften mal wieder jemand erinnern. Weder unsere PolitikerInnen noch die Arbeitgeber werden sich von allein daran erinnern.

  • O
    Olga

    Das ist die eine Lesart, die andere klingt doch viel besser: Ein Tariflohn ist wieder in! Und das wäre doch ein Ansatzpunkt, um Tarifverträge tatsächlich zu erkämpfen und die Spiralle nach Unten aufzuhalten. Wer sich diese Frage stellt, der gerät schnell an den Defaitismus der DGB-Organisationen und auch an Funktionäre, die vergeßen haben, wie man wirklich kämpft.

    Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum Betriebsräte und Personalräte Leih- und Zeitarbeiter in die Betriebe lassen? Am Ehesten ist den Gewerkschaften wohl durch demographischen Wandel geholfen, aber dann werden ja aus den neue EU-Staaten Arbeitskräfte ganz legal aggressiv in Stellung gebracht.

    Übrigens kann per Lohnsteuerjahresausgleich die Hälfte der gezahlten Gewerkschaftsbeiträge zurückerhalten werden und Mitgliedschaften für 1,50 bis 5,00 EURO sind durchaus verfügbar. Was - meine ich - häufig gegen die Gewerkschaften spricht, ist deren desolate Verfassung in einigen Betrieben und Branchen. Mir sind durchaus Fälle bekannt, wo sich Funktionäre niemals wirklich mit den Betrieben, den Interessen und Konflikten beschäftigt haben, aber satte Forderungen (Mandate im Aufsichtsrat) gestellt haben und dann alles dadurch verloren haben.

  • K
    Kommentator

    Sehe da einiges am Artikel kritisch:

     

    Zu 1.

    "Unbefristete Vollzeitstellen werden rarer und damit der Pool, aus dem sich Gewerkschaftsmitglieder vor allem rekrutieren."

     

    Warum? Sind andere Prekäre nicht würdig genug? Oder zeigen sie nicht genug Interesse? Das verstehe ich nicht.

     

    Hat der DGB nicht die Agenda 2010 - alias Flexibilisierung der Arbeitswelt mitgetragen? Rot-Grün mit Clements Leiharbeitsvorstoß unterstützt?

    Alles irgendwie ne Suizid-Aktion gewesen.

     

    zu 2.:

    "Arbeitskämpfe sind in den neuen Beschäftigungsformen, etwa der Zeitarbeit und der Solo-Selbständigkeit, kaum zu organisieren."

     

    S.o.

     

    "Die IG Metall setzt sich in einer neuen Kampagne für die Gleichbehandlung von Zeitarbeitern und Stammbelegschaften ein."

     

    Wenigstens das.

     

    zu 3.

    "Beschäftigtengruppen, die viel Durchsetzungskraft zusammenbringen, organisieren sich lieber in kleinen Berufsgewerkschaften."

     

    Recht habe sie. Unabhängigkeit gegenüber großen, zentralistischen und autoritären Bürokratien mit SPD-"Zugpferd" zahlt sich eben aus.

     

    Cockpit, GDL und FAU sind wesentlich glaubwürdiger!

     

     

    zu 4.:

    "Der Lohnkampf hat sich auf die politische Ebene verlagert mit dem Streit um einen gesetzlichen Mindestlohn."

     

    Das ist doch Unsinn:

    In ganz Europa gibt es Mindestlöhne. SPD und Grüne hatte Jahre sie einzuführen.

    Sie haben aber immer DAGEGEN gestimmt, wenn es konkret wurde. Und mit ihren mageren 8,50-Forderungen ist es in ein paar Jahren krasserer Inflation (Euro-Krise!) dann auch nicht mehr allzu viel.

     

    zu 5.:

    "Die politisch-moralische Bindung an Gewerkschaften schwindet."

     

    Klar, weil in Deutschland aufgrund von allgemein akzeptiertem neoliberalen Standortnationalismus und Sozialpartnerschaft Gewerkschaften keinen guten Ruf mehr haben.

    Kenne genug Organisierte, die austreten wollen, weil sie sich schlecht vertreten fühlen und nix zu sagen haben.

     

    Da hilft auch kein BWL-Denken durch "Marken-Image", keine nerdigen Webnetworks, jugendlichen "Flash Mob"-Aktionen. Das interessiert die nicht die Bohne.

     

    Fazit:

    Fordern, Streiken und Erfolge einfahren, die weitere Mitglieder und Erfolge nach sich ziehen!

    Alle einbinden!

    Ziele ausweiten!

    Keine faulen Kompromisse!

     

    Oder?