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Die Tragödie von DuisburgNadelöhr mit amtlicher Erlaubnis

Schwere Vorwürfe gegen die Stadt Duisburg: Die Sicherheitsvorschriften für die Loveparade waren äußerst lax. Der Oberbürgermeister schließt Rücktritt nicht mehr aus.

Am Tag danach: Der Duisburger Tunnel wird zum Ort der Trauer für die Toten der Loveparade. Bild: dpa

DUISBURG/HAMBURG dpa/afp | Nach der Tragödie auf der Duisburger Loveparade mit 19 Toten geraten die Veranstalter unter dem Vorwurf massiver Sicherheitslücken zunehmend in Bedrängnis. Ein internes Verwaltungsdokument aus Duisburg belegt nach Informationen von Spiegel online die Schwachstellen des Sicherheitskonzepts bei der Großveranstaltung mit insgesamt bis zu 1,4 Millionen Besuchern. So habe der Veranstalter nicht die sonst vorgeschriebene Breite der Fluchtwege einhalten müssen. Zugleich sei das Gelände ausdrücklich nur für 250 000 Menschen zugelassen gewesen.

Bei der Massenpanik am Tunnel vor der Freifläche waren am Samstag 19 Raver gestorben. Die mehr als 340 Verletzten sind seit Montagvormittag alle außer Lebensgefahr.

Im Mittelpunkt der Kritik steht die Duisburger Stadtführung um Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU). Bochums früherer Polizeipräsident Thomas Wenner (62) will Sauerland anzeigen. Der Onlineausgabe von Bild sagte Wenner: "Ich zeige den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, die leitenden Beamten der Stadt und die Veranstalter an." Eine solche Veranstaltung sei in Duisburg nie realisierbar gewesen. Wenner hatte 2009 als amtierender Polizeipräsident die für Bochum geplante Loveparade abgesagt.

Sauerland schließt unterdessen seinen Rücktritt nicht mehr aus. "Gestern und auch heute ist die Frage nach Verantwortung gestellt worden, auch nach meiner persönlichen. Ich werde mich dieser Frage stellen, das steht außer Frage", sagte er am Montag im Radiosender WDR2. Doch zunächst müsse es darum gehen, die schrecklichen Ereignisse vom Samstag aufzuarbeiten. "Und wenn wir wissen, was da passiert ist, dann werden wir auch diese Frage beantworten. Das verspreche ich", sagte Sauerland zu den an ihn gerichteten Rücktrittsforderungen.

Sauerland sagte, er sei nach wie vor zutiefst betroffen und bestürzt. Gleichzeitig zeigte er Verständnis dafür, dass er bei einem Besuch des Unglücksorts am Sonntag von Trauernden körperlich attackiert wurde. "Da waren Menschen, die trauern, die ihren Emotionen freien Lauf gelassen haben. Das verstehe ich." Dennoch verteidigte Sauerland auch die Verantwortlichen der Stadt Duisburg. "Wir haben alles darum gegeben, ein sicherer Austragungsort zu sein, dafür haben wir gearbeitet, dafür haben wir gekämpft."

Der Oberbürgermeister kündigte an, dass noch im Laufe des Montags ein Kondolenzbuch ausgelegt werden soll. Außerdem stehe die Stadt in Verbindung zu den Duisburger Kirchen, um eine Trauerfeier vorzubereiten.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hält es für wahrscheinlich, dass die Veranstalter und die Stadt Duisburg auf Kosten der Sicherheit bei der Loveparade sparten. "Darauf gibt es Hinweise. Dafür spricht zum Beispiel, dass es keine Videoüberwachung vor Ort gegeben hat, die eine schnelle Reaktion möglich gemacht hätte", sagte Wendt in der ARD.

Die Staatsanwaltschaft setzt am Montag ihre Ermittlungen fort. Zeugenaussagen und beschlagnahmte Unterlagen sollen klären, ob das Sicherheitskonzept letztlich ausreichend war. Bereits vor der Technoparty hatte es konkrete Warnungen vor einer Katastrophe gegeben, die manchem angesichts des engen Tunnels und der erwarteten Menschenmassen unausweichlich schien.

Deutschlands führender Konzertveranstalter Marek Lieberberg warf den Duisburger Organisatoren Profitgier und Unvermögen vor. "Das ist kein tragisches Unglück, sondern ein Verbrechen", sagte Lieberberg der Süddeutschen Zeitung. Die Veranstalter seien der Technoparty mit hunderttausenden Teilnehmern nicht gewachsen gewesen. "Befruchtet haben sich die Geltungssucht der Lokalpolitik, die Profitsucht der Veranstalter, auf beiden Seiten gut gedüngt durch totalen Amateurismus." Lieberberg organisiert unter anderem das Musikfestival Rock am Ring.

Das von Spiegel online zitierte Schriftstück vom 21. Juli 2010 mit dem Aktenzeichen 62-34-WL-2010-0026 trägt den Titel "Genehmigung einer vorübergehenden Nutzungsänderung". Es richtet sich an die Berliner Lopavent GmbH als Veranstalter der Loveparade. Der Sachbearbeiter der Unteren Bauaufsicht im Duisburger Amt für Baurecht und Bauberatung befreit darin die Organisatoren von der Vorschrift, die vorgeschriebenen Breiten der Fluchtwege einhalten zu müssen. Außerdem verzichten die Beamten auf Feuerwehrpläne.

Am Tag nach der Katastrophe legten Trauernde am Tunnel zum ehemaligen Güterbahnhof Blumen nieder und zündeten Grabkerzen an. Am Ort der Tragödie fragten sich viele, wer die Schuld trägt.

Die Zahl der Teilnehmer konnten die Duisburger Veranstalter auch am Tag danach nicht genau beziffern. Sie reicht von 105 000 Menschen, die mit der Bahn zum Feiern reisten, bis hin zu 1,4 Millionen Ravern, die sich in der Stadt aufgehalten haben sollen. Die abgeschlossene Partyzone sei für rund 300 000 Feiernde ausgelegt gewesen, sagte der Leiter des Krisenstabs, Wolfgang Rabe. Der Platz sei zum Zeitpunkt des Unglücks nicht vollständig gefüllt gewesen.

Der Ablauf der Tragödie zeichnet sich erst in groben Zügen ab: Es gab lange Zeit nur einen Ein- und Ausgang zum Festgelände, und der war nur durch zwei Tunnel unter Bahngleisen zu erreichen. Von den Tunneln ging es um eine Ecke auf eine breite Straßenrampe zum alten Güterbahnhof. Im Gedränge dieses Nadelöhrs stauten sich die Menschen. Raver, die ungeduldig zur Party strebten, trafen auf Menschen, die schon müde waren und das Fest verlassen wollten. Viele kletterten auf Container oder Zäune, um der drangvollen Enge zu entfliehen, einige stürzten nach Augenzeugenberichten hinunter in die Massen.

Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, forderte eine vollständige Aufklärung des Unglücks. Zugleich stellte er im Interview mit den Ruhr Nachrichten die Zukunft weiterer Großveranstaltungen dieser Art in Frage. Es müsse geklärt werden, "ob solche Großveranstaltungen überhaupt noch verantwortbar" seien. "Das Leid ist so groß, dass sich jeder Veranstalter in Zukunft gut überlegen wird, ob Veranstaltungen in dieser Dimension in Zukunft überhaupt noch in Angriff genommen werden können", sagte er.

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17 Kommentare

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  • W
    willi

    Eine einfache Rechnung zeigt das Unmoegliche der Veranstaltung:

     

    Die Flaeche des Tunnels (20 x 200 m) betraegt 4000 qm. Darauf passen auf einmal 8000 Menschen (1/2 qm pro Person).

    Nimmt man (optimistisch) an, dass jeder nur 10 Minuten zur Durchquerung braucht (d.h. kein Stau), koennen pro Stunde 6 x 8000 Menschen =48000 den Tunnel passieren.

    Um 1 Million Leute durchzulassen, sind daher 1 000 000 / 48 000 Stunden noetig. Man haette also fast 21 Stunden gebraucht, um die erwartete Menge von 1 Mio Leuten auf den Platz zu bringen.

     

    Wer hat da so grob falsch gerechnet?

  • W
    Wolf.G.B

    Wenn Scherze zu Wahrheit werden...

     

    im Kreis von Kollegen vertrete ich gern die Meinung, daß 80% aller Mitmenschen situationsbezogene Idioten sind, Die aktuelle Abstimmung zur Sicherheit der Loveparade gibt mir wieder Recht, knapp 79% meinen hier, mit besserer Vorbereitung liesse sich das Risko einer weiteren Tragödie bei einer "Love"-parade beherrschen

     

    Klar, Atomkraftwerke sind sicher, die Klimakatastrophe findet nicht statt, Afganistan wird ein demokratischer Staat, ach, nicht zu vergessen; die DDR war ein Unrechtsstaat, Mannomann, Ihr habt ja einen an der Waffel, ist mir sowas egal, wenn 4 von 5 jetzt wieder auf mir rumhacken; entspricht meiner Entdeckung....

     

    .....80% aller Mitmenschen sind situationsbezogene Idioten.....

  • AS
    an Siegfried Nagel

    Love Parade gab es schon vor Hartz IV.

  • SN
    Siegfried Nagel

    Hartmut hat Recht. Es ist ein Fall für den Bundesanwalt. Die Interessenverquickung in Duisburg dürfte zu stark sein. Und weil auch ausländische Besucher zu Tode und zu Schaden gekommen sind, wird der Blick aus dem Ausland scharf sein. Und alles, was nach Kungelei aussehen könnte, wäre fatal.

  • SN
    Siegfried Nagel

    Es scheint so, als ob letztlich die kommerziellen Interessen des Veranstalters und die Geltungssucht des Bürgermeisters der verschuldeten Stadt Duisburg zu einer fatalen beratungsresistenten Bedenkenlosigkeit geführt haben. Was ist aber mit den über eine Million Menschen, jetzt Raver genannt, die wie ein Zug der Lemminge in ein scheußliches umzäuntes Gelände marschierten, um sich zu Musik zu bewegen, bei der man nicht einmal mehr bemerkte, daß irgendwo Menschen zu Tode kommen? Neuer Massenwahn für welche Idole, der dazu führt, daß der Mensch zum Raver mutiert und massenhaft seinen Instinkt für Gefahr verliert. Schon die Römer beschäftigten ihre Plebejer mit Brot und Spielen. Heute Hartz 4 und massenhafte Vergnügung. Eine aus Berlin medienwirksam angereiste junge Ministerin plapperte auch folgerichtig, die Loveparade müsse weitergehen. Veranstalter Schaller warf erst einmal den Stab hin. Ein anderer wird ihn wohl aufheben wollen. Und die Duisburger Polizei? Sie habe zuvor gewarnt, sagen jetzt einige. Wo war aber der offene Protest als das Risiko absehbar war? In der Disziplin erstarrt. Vor einem Bürgermeister, der wohl nicht zu halten ist.

     

    Siegfried Nagel

    Erkrath

  • M
    makmak

    Da hat dem Veranstalter wohl eine - für ihn möglichst kostengünstige - Mc-Parade vorgeschwebt. Man kann nur hoffen, dass die Justiz diesem Typen richtig kräftig eine 'schallert'.

    Der Glaube daran fällt mir allerdings eher schwer.

  • E
    Erschreckend

    Lügt der Bürgermeister? Hatte er nicht am Samstag behauptet es hätte ein stichhaltiges Sicherheitskonzept vorgelegen? Und nun stellt sich heraus, dass die Genehmigung doch nicht mit rechten Dingen zuging? Wann wird der Bürgermeister, der Veranstalter und der Verantwortliche der Sicherheitsplanungen, der behauptet, die Toten wären an ihrem eigenen Tod schuld, endlich verhaftet?

     

    Da haben sich sicherlich mehr als 3 Personen der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht und diese laufen immer noch frei herum?

  • F
    fritz

    >

     

    Ja.

  • K
    Klaus

    Es gibt einen Vorschriftenkatalog für Veranstaltungen,eine Genehmigung unter den vorhandenen Umständen wäre nach diesen Vorschriften für diese Veranstaltung nicht erteilt werden können. Wie ist es möglich das ein Sachbearbeiter der unteren Bauaufsicht Teile der Vorschriften aussetzen kann? Jedenfalls haben die mit der öffentlichen Sicherheit der Stadt Duisburg befassten Behörden auf ganzer Linie versagt. Die fadenscheinigen Aussagen der derzeit in Duisburg herrschenden politischen Klientel zeigen lediglich die absolute Unfähigkeit dieser Schreibtischtäter auf.

  • K
    Klaus

    Es gibt einen Vorschriftenkatalog für Veranstaltungen,eine Genehmigung unter den vorhandenen Umständen wäre nach diesen Vorschriften für diese Veranstaltung nicht erteilt werden können. Wie ist es möglich das ein Sachbearbeiter der unteren Bauaufsicht Teile der Vorschriften aussetzen kann? Jedenfalls haben die mit der öffentlichen Sicherheit der Stadt Duisburg befassten Behörden auf ganzer Linie versagt. Die fadenscheinigen Aussagen der derzeit in Duisburg herrschenden politischen Klientel zeigen lediglich die absolute Unfähigkeit dieser Schreibtischtäter auf.

  • L
    lorenzo

    Hinterher kann natürlich auch der Herr Lieberberg sich hinstellen und kluge (?) Kommentare abgeben.

     

    Warum hat sich Herr Lieberberg im Vorfeld nicht selbst als kompetenter Berater zur Verfügung gestellt?

     

    Diese Love-Parade wurde als Fortsetzung des Berliner Umgangs im Wortsinn aufs Abstellgleis abgeschoben.

     

    Warum hat man sie nicht an einem Ort/Platz stattfinden lassen, für den es bewährte Sicherheitskonzepte gibt?

     

    Schreibt doch bitte mal mehr dazu.

  • MM
    mit Majo

    "Der Oberbürgermeister schließt Rücktritt nicht mehr aus..."

     

    Frau Merkel bekundet ihr Beileid und eilt dann sichtlich entspannt als Star zu den Richard-Wagner-Festspielen und genießt es, wie ihr die Wartenden zujohlen und begeistert die Hände entgegenstrecken.

     

    Die kann gleich mit rücktreten, so etwas von Pietätlosigkeit angesichts von 19 Toten und hunderten Verletzten. Ihr Platz als Bundeskanzlerin wäre vor Ort in Duisburg gewesen bei den Angehörigen und noch lebenden Opfern und nicht in Bayreuth bei den Opernfestspiele zum Schaulaufen der Prominenten. Gedankenlos, arrogant und gleichgültig, die Menschen in Deutschland interessieren sie einfach nicht.

  • H
    Hartmut

    Warum übernimmt die Staatsanwaltschaft Duisburg die Ermittlungen, welche für ein objektives Gesamtbild auch die Duisburger Polizeiführung mit einschließen muss? Bin ich der einzige, der darin einen Interessenskonflikt sieht?

    Unabhängig vom Untersuchungsergebnis legt Duisburg gerade den Grundstein für einen Skandal internationalen Ausmaßes, weil die Angehörigen der vielen ausländischen Verletzten und toten Besucher zu Recht eine angemessene und vor allem unabhängige Aufklärung fordern werden. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um jeglichen Vorwürfen von Beeinflussung entgegen zu treten, die womöglich erst zu diesem Desaster geführt haben.

  • I
    ianinsane

    Wenn sich bewahrheitet, dass ein umfassenderes Sicherheitskonzept aus Kostengründen abgelehnt wurde, dann gehen die 19 Toten direkt aufs Konto der Politik immer niedrigerer Steuern.

  • K
    Katev

    Wenigstens die taz sollte sich mal der Rolle der Polizei-Einsatzleitung annehmen. Wenn man die Augenzeugenberichte durchgeht, liest man immer wieder was von einem abgesperrten Eingangsbereich und gleichzeitig neu nachströmenden Besuchern, während Leute, die nach hinten dem Gedränge entkamen, Polizisten vergeblich warnten, nicht noch mehr zukommen zu lassen. Dabei fällt auf, wie offensiv die Polizei jetzt Veranstalter und Verwaltung kritisiert. Die Polizei wollte die Loveparade wohl auf andere Weise bewältigen. Aber mit der ihnen zur Verfügung stehenden Methodik sind sie dann selbst auf vermutlich fatale Weise falsch umgegangen. Also, taz, recherchiere!

  • R
    reblek

    "Der Sachbearbeiter die Organisatoren von der Vorschrift, die vorgeschriebenen Breiten der Fluchtwege einhalten zu müssen." Vermutlich gibt es nur eine vorgeschriebene Breite, aber was es auf keinen Fall gibt, ist "die Vorschrift, zu müssen". Was es gibt, ist "die Vorschrift, einzuhalten".

     

    "Es gab lange Zeit nur einen Ein- und Ausgang zum Festgelände..." Es gab "einen Ausgang zum Festgelände"?

  • H
    Henrik

    "Bei der Massenpanik am Tunnel vor der Freifläche waren am Samstag 19 Raver gestorben"

     

    Es starben 19 Menschen.