■ Die Tornado-Entscheidung scheint gefallen: Trickreich an die Front
Wir schicken keine „Erdtruppen“, lautet die letzte verbliebene Selbstbeschränkung Helmut Kohls und seiner Regierung im Jugoslawien-Konflikt. Schien es noch bis vor Wochenfrist Konsens, daß Deutsche aufgrund ihrer historischen Verantwortung in Bosnien nicht militärisch intervenieren dürften, wird dort jetzt der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr programmiert – aus der Luft. Die deutschen Super-Tornados sind wieder im Gespräch.
Wie das? Gerade war doch eine entsprechende Anfrage aus Brüssel als nicht formgemäß zurückgewiesen und auch als irgendwie unsinnig abgetan worden. Doch kurz darauf wurde die Öffentlichkeit mit der Notwendigkeit vertraut gemacht, bei einer Evakuierung der Blauhelme aus Bosnien könne auch die Bundeswehr nicht abseits stehen, wenn es gelte, die weitgehend schutzlosen Blauhelmsoldaten ihrer Verbündeten aus dem balkanischen Schlamassel „rauszuhauen“. Womit? Ein paar Sanitätseinheiten, Logistik – und Tornados, versteht sich, damit der Rückzug nicht durch serbische Raketen gefährdet werden könne. Doch von diesem Szenario sind plötzlich nur noch die Tornados übriggeblieben, vom eventuellen Evakuierungsauftrag ist nicht mehr die Rede, besser gesagt, die Rede davon ist mittlerweile wieder tabu: „verantwortungslose Spekulation“ nennt Verteidigungsminister Volker Rühe heute das Rückzugsszenario, mit dem er noch gestern drastisch für eine deutsche Beteiligung geworben hatte.
In der an Winkelzügen reichen Durchsetzungsgeschichte für eine deutsche Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen markiert der Hilfe-für-unsere- Alliierten-Trick einen neuerlichen Höhepunkt. Auch diesmal scheint sich Rühes und Naumanns Chuzpe wieder auszuzahlen. Der anfängliche Widerstand der SPD gegen deutsche Tornados über Bosnien scheint aufgezehrt, noch bevor ernstlich über Sinn und Zweck eines solchen Einsatzes debattiert werden mußte. Aber es kann doch allen Ernstes nicht angehen, daß Rudolf Scharping nach seinem ersten, als blamabel eingestuften Bundestagsauftritt als Außenpolitiker, das Feld jetzt für die vermeintlichen Profis aus der Union freigibt. Wollen die Sozialdemokraten, nachdem sie uns über Jahre hinweg mit Prinzipiendebatten über die Zulässigkeit deutscher Blauhelm- und Militäreinsätze genervt haben, sich im entscheidenden Augenblick in die immerwährende Weihnachtspause verabschieden?
Über den Einzelfall hinaus präjudiziert die anstehende Entscheidung des Bundestages über den Tornado-Einsatz auch die Modalitäten aller künftigen militärischen Einsatzbeschlüsse. Wenn es schon beim ersten Mal glatt, ohne ernstliche Diskussion und mit einfacher Mehrheit abgeht, wird auch ein irgendwann später erlassenes Entsendegesetz keine härteren Kriterien mehr etablieren. Matthias Geis
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