: Die Tierwelt des Hallenhandballs
■ Beim 35. Internationalen Neujahrsturnier in Berlin traten die unterschiedlichsten Spielertypen auf Der nüchterne HC Preußen aus Berlin gewann gegen die Künstler der Improvisation aus Ägypten
Die Katze: Uwe Kern bewies in der 8. Klasse der Kinder- und Jugendsportschule in Frankfurt/Oder so viel Talent, daß seine Trainer lange nicht wußten: Soll er im Tor stehen oder ins Tor werfen? Noch im Juniorenalter spielte Kern als Torwart und Aufbauspieler. Mit der Gewandheit einer Katze ärgerte er auf beiden Positionen die Gegenspieler.
Dann trat er aber doch zwischen die Torpfosten des ASK Frankfurt. Mit ihm brachte es Kern zum DDR- Meister und Europacup-Finalisten. Vielleicht stand die Frankfurter Abwehr auch so gut, weil hinter ihr jemand furchtbar katzengrantig fauchen konnte, wenn die Vordermänner fuschten. Inzwischen ist Katze Kern 31 Jahre, ruhiger und Torwart bei Blau-Weiß Spandau in der zweiten Bundesliga geworden. Katzen sind launisch und fauchen nur noch selten wie in alten Zeiten.
Wie beim Neujahrsturnier gegen Schwedens Meister Halmstad. Beim 3:8 ging er ins Tor, hetzte nach jedem Ball, Spandau kam noch bis auf ein Tor heran. Trotzdem belegten Kern und Spandau ohne Murren nur den letzten und fünften Platz.
Das Wiesel: Tommy Suovaniemi ist kein Finne, sondern Schwede. Das kann er beweisen, denn er spielte schon 15 Mal in dessen Nationalmannschaft. Er ist ein Zwerg unter Riesen, nur 1,63 Meter groß und damit rund 30 Zentimeter kleiner als seine Spielkameraden.
Die langen Haare zum Zopf gebunden, ein breites Stirnband angelegt, betritt er das Parkett, und alle lächeln. Seinen Gegenspieler erfüllt Vorfreude auf eine leichte und leichtgewichtige Abwehraufgabe. Auch Tommy grinst in weiser Voraussicht, daß ihn wieder einer unterschätzen wird. Er bekommt den Ball — und kurze Zeit später rätseln alle, durch welche Lücke er denn nun schon wieder gewieselt ist.
Tommy Souvaniemi gehörte zu den erfolgreichsten Torschützen des schwedischen Meisters beim Berliner Turnier, allein dem HC Preußen jagte er vier Bälle in die Maschen. Für die Schwächen der Südschweden im Aufbauspiel konnte er genauso wenig wie für deren miserablen vierten Platz.
Der Panther: Ahmed Bellal kann der Roger Miller des Handballs werden. Der ballverliebte 22jährige aus Kairo gehört dem ägyptischen Nationalteam an. Taktische Disziplin und technische Feinheiten versucht ihm Paul Tiedemann beizubringen, der einst die DDR-Handballer zu Weltruhm und Olympiagold geführt hatte und nun die Ägypter zur afrikanischen Nummer eins machen will.
Der 1,97 m große Bellal ist außerwöhnlich gewandt und explosiv. Von den Abwehrstrategen kaum zu stellen, sucht er ständig den Torerfolg, vergißt aber auch die Freude an spaßigen Kabinettstückchen nie. Ägypten gegen Spandau. Noch zwei Minuten, 16:14. Bellal fängt einen Ball ab, stürmt dem gegnerischen Tor zu. Ein disziplinierter deutscher Handballer würde den Konter nun mit einem humorlos wuchtigen Wurf beenden. Nicht so Bellal. Er springt hoch, wartet auf einen torhungrigen Mitspieler, legt den Ball in den freien Raum, der von dort formvollendet ins Tor geworfen wird. Eine Minute später die gleiche Aktion: Bellal sprint, wartet, Mitspieler kommt, Torwart will pfiffig sein und dazwischen springen — aber Bellal hat getrickst: Das Leder rollt ins leere Tor.
So hätte Ägypten das Turnier gewinnen können. Aber Trainer Tiedemann hat seinen Jungs zwar Sprung- und Wurf-, aber zu wenig Nervenkraft antrainiert. Gegen Halmstad führt Ägypten 6:2 und 9:7, verliert trotzdem 11:15. Deshalb: Dritter.
Der Bär: Wladimir Below kommt aus dem Moskauer Stadtteil Kunzewo. Dort begann er als Elfjähriger mit dem Handballspielen und brachte es Dank seiner hervorragenden Athletik und einer gewissen Spielintellegenz schnell zu sportlichem Ruhm. Mit 20 Jahren wurde er Vizeweltmeister und unmittelbar danach Kapitän der sowjetischen Auswahl. In dieser Funktion erlebte er 1980 die herbe Niederlage im Olympiafinale gegen die DDR. Zwei Jahre später führte er die UdSSR-Mannschaft als Regisseur und Vollstrecker bei den Weltmeisterschaften zum Sieg.
Danach wurde es urplötzlich ruhig um Below, der vom Winterschlaf eines Bären nicht mehr aufzuwachen schien. Nun ist er wieder da: als Spielertrainer von Kunzewo. Ein wenig aus den körperlichen Fugen geraten zwar und nur noch zu bärischen Kurzsprints in der Lage, aber immer noch mit dem wachen Auge des Honigdiebs, der jede listige Abwehrlücke erspäht. Below hat drahtige Moskauer Jungs um sich geschart, die unauffälig, aber gut spielen und ihm vor allem den gehörigen Respekt zollen. Lohn in Berlin: zweiter Platz.
Der Fuchs: Stephan Hauck hat von allen aktiven Handballern die meisten DDR-Länderspiele bestritten. Mit 193 Einsätzen wurde er zum alten Fuchs. Nun gehört der Kapitän des HC Preußen auch wieder zur neuen Nationalauswahl. Vor allem in der Abwehr will Hauck zu einer festen deutschen Größe werden. Das ist er in seinem Klub allemal.
Die Berliner kämpfen seit Monaten um die offizielle Anerkennung bei den Handballfans der Stadt. 2.800 Zuschauer an beiden Turniertagen gaben den Spielern den Mut zur Vertragsunterschrift beim krisengeschüttelten Verein bis zum Saisonende. Beruflich hat Hauck auch umgedacht, sein Sportstudium abgebrochen und eine Polizeilaufbahn angestrebt. Den Pokalsieg hat der HC Preußen an die Spitze seiner Wünsche für 1991 geschrieben. Den ersten hat er sich erfüllt: Stephan Hauck wurde mit überwiegend jungen Burschen an seiner Seite Sieger des Berliner Handball-Neujahrsturniers. Das ist ja tierisch. Bossi
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