■ Die Telekom will die Schulen mit dem Internet-Anschluß revolutionieren – und zielt doch nur auf neue Kunden: Hardware-Fetischismus
Als Zwölfjähriger träumte ich, wenn ich nur einen Vierfarbenkuli hätte, wären alle Probleme mit den ersten Schreibversuchen gelöst. Die Aufklärung, daß der Kuli kein Zauberstab ist, war kurz, schmerzlich und lehrreich. Nicht ganz so lange ist es her, da konnte man an Straßenecken Jungen mit Walkie- talkies beobachten, die ein begeistertes „Roger, Roger!“ ausstießen. Auch deren Fetisch verbrauchte sich. Mit Computern und neuerdings mit dem Internet haben wir nun Techniken mit ungleich höherem Gebrauchswert als dem von Vierfarbenkulis und Walkie-talkies. Aber weil die experimentelle Entdeckung ihrer Möglichkeiten noch aussteht, eignen sich Computer und Internet um so mehr zum Hardware-Fetischismus.
Ein Fernsehspot missioniert derzeit für Erlösungstechnologien: Erwartungsvoll sind die Satellitenschüsseln nach oben gerichtet. Dann wird die erste Szene in eine lichtdurchflutete Schulklasse überblendet. Begeisterte Kinder sitzen vor Bildschirmen. Wie ein junger Gott springt ein richtiger deutscher Professor durchs Bild und verkündet, daß wir ans Ende der Gutenberg-Galaxis gelangt seien und in ein neues Zeitalter abhöben. Der intergalaktische Professor Norbert Bolz hat vor einigen Jahren noch Lesenswertes über Chaos und Simulation veröffentlicht. Nun verflüssigt er sich zu Propaganda. Der TV-Spot, mit dem die Telekom ihr Image aufbessern will, läuft vor der „Tagesschau“. Die Telekom meint es ernst.
35 Millionen Mark investiert sie in ein Joint-venture mit der Bundesregierung. „Schulen an das Netz“ heißt das Unternehmen. Man höre den Imperativ. Die Bundesregierung bezeichnet in ihrem Bericht „Info 2000“, den sie kürzlich vorlegte, die Aktion mit der Post als ihre „Bildungsoffensive“.
Es gibt gute Gründe, im Internet ein nützliches Instrument mit kulturrevolutionärer Potenz zu sehen. Und natürlich ist die Bedienung eines PC inzwischen eine basale Kulturtechnik. In jede Schulklasse gehört also ein Rechner. Besser noch wäre es, Computer als Simulationsmaschinen zu entdecken. Gegenargumente weisen auf die Gefahr hin, maschinengläubige Konsumenten würden an Großprothesen verdummen. Nun wären Computer und Internet die ersten Sachen auf der Welt ohne Ambivalenz. Es wird also darauf ankommen zu balancieren, um nicht abzustürzen. Stellt sich bei der Computerei die Frage: Wer programmiert wen?, hängt beim Internet alles davon ab, ob die Teilnehmer Knoten eines sich selbst webenden Netzes sind oder ob sie als Endverbraucher angestöpselt werden. Für die anstehende Diskussion über das Internet wären Schulen und Hochschulen keine schlechte Bühne. Wie immer zeigt sich in der Bildung die Geheimgrammatik einer Gesellschaft. Aber statt einer Debatte hören wir schlichte Propaganda und das Kommando: „Schulen ans Netz!“
Schon länger drängt sich der Verdacht auf, daß die gute Idee Internet so lange mit Illusionen und Infoschrott aufgeblasen wird, bis es „peng!“ macht. Stanislaw Lem, weiß Gott kein Technikfeind, fürchtet sich vor dem Internet, „das für mich die wahre Sintflut darstellt“. Denn so vielversprechend es als Attraktor für Dialoge ist, in dem jeder Empfänger auch ein Sender ist, so verheerend wäre es als Speicher bloßen Wissens. Und just mit dem Versprechen, sie ans Wissen der ganzen Welt anzuschließen, sollen Schulen ans Netz genommen werden.
Dabei ist das Meer unspezifischen und nicht biographisch gezeichneten „Wissens“ genau das, was uns schon ohne Internet lähmt. Uns fehlt die Kraft auszuwählen. Uns fehlt der Mut, unserer Wahrnehmung zu trauen. Wir brauchen Visionen, um zu wissen, was wir wollen. Aber über unserer Gesellschaft liegt eine beängstigende Option auf den Vorruhestand. Nicht Wissen fehlt uns, unser größter Mangel liegt in der geringen Lust am Handeln.
Deutlicher noch als an Erwachsenen wird diese merkwürdige Allianz von Über- und Unterforderung, von aufgeregter Informationsvorlust und erschlaffter Praxis, an Kindern. Deren Köpfe sind morgens, wenn sie zur Schule kommen, häufig bereits wegen Überfüllung geschlossen. Nicht weil sie zu viel fernsehen, wie die voreilige Kulturkritik immer schon weiß, nein, die Informationen drücken, weil tätiges Handeln, gewissermaßen als Verdauung von Information, rar ist. Die Fernsinne der Kinder sind überreizt. Ihre Nahsinne verkümmern – ihr Gemeinsinn, also das Gespräch, auch. Sie ziehen ihre Antennen ein, weil zu viele Sender auf sie gerichtet sind. Allenthalben droht uns kollektiver Alzheimer als Reaktion auf das Überfüllungssyndrom. Deshalb wäre eine Schule nötig, die eher die Leere entdeckt. Die Schule muß ein Mußeraum werden. Genau das bedeutete scholae ja im Griechischen: Muße, Verlangsamung, Freisein von Geschäften. Wir brauchen also Schulen, „die Menschen stärken und die Sachen klären“ (Hartmut von Hentig). Bloßes Wissen lähmt. Wir brauchen eine „Pädagogik der Einbildungskraft“ (Italo Calvino). Schüler, die wissen, was sie wollen, werden sich im Internet zurechtfinden. Die anderen werden sich darin erst recht verlieren.
Das Abfüllen von Wissen infantilisiert, gleichgültig, ob der Stoff in der Regie einer Ingenieurspädagogik oder von den Dealern der Online-Dienste verabreicht wird. Schulen ans Internet zu legen, um noch mehr Information in sie zu pumpen, kann nur den Betreibern von Pumpen nützen. Daß die Telekom alles tut, uns von ihren Leistungen abhängig zu machen, verwundert so wenig wie der Werbefake, der jenes Leben verspricht, das ein Produkt gerade nicht liefert. Daß nun aber die Bundesregierung die Software der Telekomwerbung zum bildungspolitischen Leitmotiv erklärt, ist ein Skandal. Hier tritt uns jener naive Fetischismus vor Augen, der schließlich zum Resultat der Angelegenheit werden könnte. Die allseits proklamierte „Kultur der Selbständigkeit“ wird diese Bildungsoffensive gewiß nicht fördern.
Übrigens ist in den USA die Diskussion weiter. Clifford Stoll, langjähriger Computerfreak, beschreibt in seinem Bestseller „Die Wüste Internet“ das Netz nicht als das Gelobte Land, sondern als großen Zeiträuber. Und die neue Boom-Branche in den USA verkauft Füllfederhalter, zum Beispiel an Chefs. Paul Saffo, Direktor des kalifornischen Institute for the Future, sagt: „Wenn die Verbraucher wüßten, wie viele Topmanager der Computerindustrie die Produkte, die sie selbst teuer verkaufen, niemals benutzen, würde es einen Aufruhr am Markt geben.“ Reinhard Kahl
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