: „Die Täter sollen ins Gefängnis“
■ George Sali will Vergeltung von der Wahrheitskommission
Johannesburg (taz) – An einem heißen Januarmorgen wurde Mncendisa Sali von seiner Mutter ins nahe Geschäft geschickt, um Brot zu kaufen. Der 16jährige, der von seinen Freunden George genannt wird, hatte Großes vor in seinem Leben: Er wollte Künstler werden. Ehrgeizige Pläne für einen schwarzen Jungen, der in einem der gewalttätigsten Townships von Johannesburg aufgewachsen war, in Kathlehong im Südosten der Millionenstadt.
Georges Pläne fanden an diesem Januartag ein jähes Ende. Vor dem Geschäft geriet er zufällig in eine Schießerei zwischen einer „Internen Stabilitätseinheit“ der Polizei und zwei anderen Schwarzen. Ein Streifschuß der Polizei ließ ihn querschnittsgelähmt zusammenbrechen. Die weißen Polizisten verschwanden, ohne sich um den Jungen zu kümmern, George lag ein halbes Jahr bewegungslos im Krankenhaus. Teure Operationen konnte sich die Familie nicht leisten, und George wird sein Leben lang im Rollstuhl sitzen.
Wer die Täter waren, weiß er bis heute nicht. Heute lebt George mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einem winzigen, ärmlichen Haus in dem Township und ist bei jedem Handgriff auf die Hilfe anderer angewiesen. Nur stockend und mit brechender Stimme erzählt der schmächtige Junge von dem Vorfall. Seine Augen irren unablässig durch das dunkle Wohnzimmer hin und her. George will reden, doch er ist vollkommen traumatisiert und bräuchte dringend psychologische Behandlung.
Seit mehreren Monaten hat er wenigstens ein Forum gefunden, wo ihm zum ersten Mal zugehört wird. Die Khulumani-Gruppe veranstaltet regelmäßig Treffen im Township, um Leuten wie ihm zu helfen – und sie für den Gang vor die Wahrheitskommission vorzubereiten. George will, daß sein Fall öffentlich wird. „Ich will ihnen erzählen, was mir passiert ist. Ich will, daß die Täter gefunden werden“, sagt er. Und: „Ich will, daß sie ins Gefängnis kommen.“ Daß genau das nicht die Idee ist, die der Wahrheitskommission zugrundeliegt, hat George bisher nicht begriffen. Und er versteht es auch jetzt nicht. Alle Nachfragen machen ihn so verwirrt, daß er nicht mehr weitersprechen kann.
Doch, Versöhnung will er schon, und es ist richtig, was Nelson Mandela denkt. Trotzdem, die Täter müssen ins Gefängnis. Und er will Hilfe von der Wahrheitskommission, Entschädigung für sein Unglück – Entschädigung, die er nie bekommen wird, denn es sind allenfalls symbolische Summen vorgesehen. Außerdem ist keineswegs sicher, daß die Kommission einen Fall wie seinen überhaupt als politisches Verbrechen anerkennen würde. Schlimmer noch: Sie wird ihn ohnehin nicht anhören, denn sein Fall liegt haarscharf nicht mehr innerhalb der Frist, die die Kommission zu untersuchen hat. Der heiße Januarmorgen war Anfang 1994, die Frist endet am 5. Dezember 1993. George hofft vergebens, daß die Frist für ihn verlängert wird.
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