: Die Süßigkeit der sozialen Harmonie
■ Dirk Sommer und Bernhard Föll in Galerie Loulou Lasard
Die Galerie Loulou Lasard und die sie betreibenden drei Exzentrikerinnen haben vorzeiten schon tiefer den Müllberg der Kultur begutachtet; mit sicherem Griff Kitsch und Chaos zum Happening umfunktioniert oder dem Müll das feinseidende Kleidchen des Ambitiösen übergestreift. Wohl also tiefer (und darum geschmackloser) war ihr Griff in das Schatzkästlein des kulturellen Zitats — tiefer, aber nicht moralischer. In der derzeitigen Ausstellung »Die Süßigkeit der sozialen Harmonie« von Dirk Sommer und Bernhard Föll zelebrieren sie sowohl Moral, als auch den Kitsch — vermittels eines gestalteten Zimmers, graphischer Arbeiten und diverser Papiertüten.
Moralität in der Kunst muß sich immer an den eigenen Ansprüchen messen lassen. Kitsch wird mit den Ansprüchen anderer vermaßt. Kitsch ist ein einzigartiges Wort, das weder der Franzose noch der Engländer kennt, so einzigartig, daß es im Amerikanischen eines der wenigen deutschen Lehnwörter bildet. Kitsch ist der herrlichste und sicherste Griff in den Müllberg der Kultur — oberflächlich und harmonisch, er ist sauber und von geschmackloser Einfachheit. Kitsch ist das einzige, was wirklich schön ist, das einzige was allgegenwärtig und zugleich amoralisch ist. Kitsch ist ohne Geschmack, und durch die totale Absenz ebendieses zeitlos — und: klassenlos. Kitsch ist destillierte Empirie; entbehrt der Verunreinigung durch den Intellekt und seiner Miasmen.
Dirk Sommer in der Galerie Loulou Lasard »zitiert listig das täglich 0-8-15, komponiert so einen beziehungsreichen Zauberspruch nach dem anderen«, so geschrieben im Faltblatt zur Ausstellung. Mag sein, daß Dirk Sommer dies tut. Doch Dirk Sommer tut eigentlich weniger — oder auch mehr. Mit der ewigen Arroganz des intellektuellen Kolporteurs löst er die Schönheit des Kitsches aus seiner Neutralität und ordnet sie einer Klasse/Gruppe zu. Unerträglich zu sehen, wie Kitsch und Bürgertum gleichgesetzt werden; unerträglich auch das postmoderne Zitatenarrangement, mit der ein Nestflüchter seine eigene Kinderstube verteufelt. die Rede ist von »rosaroter Brille« und dem »Geschmacksnerv der Bourgeoisie«, von »Sahnehäubchen« und »naschsüchtigen Blicken«. Dirk Sommers Beitrag zur »Süßigkeit der sozialen Harmonie« besteht aus Partikeln der »kitschigen« fünfziger Jahre: der Fernsehtruhe, der Ölschinken, der Couchecke. Natürlich darf das Nierentischchen nicht fehlen und das Familienbild ebensowenig. Behauptet Sommer in seinem Klappentext, daß er »ästhetisiert«, so traumatisiert er doch eher. Der Witz der Arrangements zerbricht an der Denunziation der Zitate.
Der zweite der Ausstellung wird von Bernhard Föll bestritten, der »unermüdlich im Poesiealbum für Feingeister« schöpft. Im Gegensatz zu Sommers Part, dem man eine gewisse Anziehung nicht absprechen kann, langweilt Föll. Gerade das graphische Oeuvre von Föll will nicht recht zum naiven Schwung seiner Papierkleider auf Bügeln oder zu Sommers Huhn an der Decke passen. Verbindet Sommer Moralisches mit dem »Geschmacksnerv der Bourgeoisie«, so verquickt sich bei Föll Ernstes mit »Mitvöllerei« — was immer das auch sein mag. Ist es vielleicht das Ausufern der Aussage in die Vielzahl der angewandten Techniken? Wenn ja, dann ist es gut so. Denn »Motivvöllerei« ist das einzige, was man der Galerie Loulou Lasard bereit ist abzunehmen. Und genau an diesem Punkt bekommt die Ausstellung ihren Reiz: echt daneben, und voll draufgehalten. Volker Handloik
bis 2.8.; Di-Fr 15-19 Uhr in der Crellestr. 42a, 1-62
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