Die Suche nach den EHEC-Schuldigen: Reporterschwarm in Bienenbüttel

Ein Besuch vor den verschlossenen Toren des "Gärtnerhofs", von dem tödliche Ehec-Sprossen kommen sollen: Es gibt wenig aktuelle Nachrichten, dafür umso mehr Journalisten und ebenso ratlose wie hilfsbereite Anwohner - eine Tagesbilanz.

Ein idyllischer Ort, fernab der agroindustriellen Massenproduktion: der Bio-Hof "Gärtnerhof" in Bienenbüttel bei Lüneburg. Bild: Anna Wattler

HAMBURG taz | Es ist ein bisschen wie früher, eine Ausfahrt ins Grüne. Rechts und links von der Straße liegen Wälder und Wiesen im frühsommerlichen Sonnenlicht. Die von den vergangenen Regenschauern noch feuchte Landluft trägt den drückenden Duft des Dungs besonders gut.

Die letzten Meter zum "Gärtnerhof" in Bienenbüttel führen durch ein Nachbarschaftsidyll. Buntes Holzspielzeug in den liebenswert chaotischen Vorgärten deutet auf viele Kinder hin, die Anti-Atom Fähnchen auf umweltbewusste Anwohner. Und ausgerechnet in so einem Umfeld soll die Ehec-"Killersprosse" herangewachsen sein, wie der Boulevard sie getauft hat?

Das kann hier niemand so recht glauben. Weder die Anwohner noch die Journalisten, die über die Vorkommnisse vor Ort berichten sollen - wenn es denn welche gibt. Dazu haben sie zahlreiche Übertragungswagen herangekarrt. Alle Großen sind da: NBC, Bloomberg, Reuters. Dazu Live-Schaltungen ins spanische, schwedische, russische, britische und französische Fernsehen. Print-Reporter bahnen sich ihren Weg durch Reflektorschirme, Kamerakonstruktionen und Radiomikrofone.

Ab und an rollt ein Streifenwagen durch den Kabelsalat der TV-Sender und löst geschäftige Unruhe aus. Passiert etwas? Sind alle einsatzbereit? Doch es rührt sich nichts hinter dem metallenen Tor des Gärtnerhofs.

"Und, seit wann bist du schon hier?", ist die gängigste Frage an diesem Montag auf den Streifzügen um den Hof. Manche ziehen schon seit dem frühen Morgen ihre Runden, andere sind sogar bereits seit Sonntagabend da und haben eine kurze Nacht in einer Pension im Nachbarort verbracht.

Müde, fast resignierend schleichen sie nun über die holprigen Feldwege am eher symbolischen als funktionalen Drahtzaun entlang, um durch die groben Maschen vielleicht doch noch einen Blick auf den mutmaßlichen Herd des Übels zu erhaschen.

Doch zwei Polizisten passen gut auf. Das Gras geht ihnen bis zum Bauch. Mit einer Zigarette im Mundwinkel erinnern sie ein wenig an Sheriffs im Wilden Westen. Am Sonntagabend mussten sie bereits besonders ambitionierte Journalisten vom Grundstück verjagen, für die der mannshohe Zaun kein Hindernis dargestellt hatte. Heute gibt es auch für sie weniger zu tun.

Hinter ihnen erheben sich zwei gläserne Gewächshäuser, die in diesen Tagen besser bewacht scheinen als Fort Knox. Hier soll das Saatgut "aus Asien", wie alle tuscheln, angebaut und bewässert worden sein. Hier wurden die verdächtigen Sprossen abgepackt, von hier aus an Restaurants und Märkte geliefert. Und, soviel ist sicher: Besonders viele Menschen, die später an Ehec erkrankten, haben sie gegessen.

Ob das im ursächlichen Zusammenhang steht und wie es zu einer Verunreinigung gekommen sein könnte, ist weiterhin unklar. Hygienische Vorschriften wurden auf dem Bio-Hof strengstens eingehalten, sagt eine ehemalige Mitarbeiterin.

Eine Übertragung über Gülle ist kaum vorstellbar, denn "aus dem vegetarischen Gedanken, keine Nutztiere zu halten und zu töten, benutzen wir keine tierischen Düngemittel wie Gülle, Mist oder Horn, sondern setzen auf einen pflanzlichen Bodenaufbau". So nimmt der Gärtnerhof auf seiner Internetseite Stellung.

Am Montagabend wurden weitere Proben genommen, doch Ergebnisse stehen noch aus. Die ersten 23 Proben waren negativ und auch in den Sprossen, die bereits zwei Wochen im Kühlschrank eines an Ehec erkrankten Hamburgers gelagert hatten, fanden sich keine Erreger.

Die Hofbesitzer halten sich derweil bedeckt. Vielleicht ist es die Sorge vor einem Rufverlust. Und auch das Landwirtschaftsministerium will nicht einem erneuten Gurken-Trugschluss erliegen und die Landwirtschaft dadurch weiter schädigen.

Doch dafür ist es schon zu spät. Egal wie die Ergebnisse ausfallen, der Ruf des Gärtnerhofs bleibt beschädigt, der der Sprosse im Allgemeinen auch. Dabei ist eine flächendeckende Desinfizierung des gesamten Geländes längst beschlossene Sache.

Gegen Nachmittag ist immer noch nichts passiert. Die Reporter lassen sich erschöpft im Schatten der Bäume nieder. Manche packen Klappstühle und gekühlte Getränke aus. Andere bestellen Pizza - zum "Ehec-Hof". Alles erinnert an einen großen Klassenausflug. Bis auf die Polizeiwagen.

Für die Nachbarskinder ist dieser Montag ein spannender Tag. "Sonst ist in Bienenbüttel nie was los. Heute ist alles total aufregend. Das kennt man sonst nur aus dem Fernsehen", sagt die elfjährige Gina. "Aber der Mann vom Hof tut mir leid. Er muss bestimmt seinen Laden schließen und wegziehen. Dabei kann er gar nichts dafür." Auch Nachbarin Hildegund Greve sieht das so: "Schlimm, was die jetzt durchmachen hier. Aber ich bin natürlich jetzt auch erstmal vorsichtig."

Die Stunden verstreichen, die Luft flimmert und auch kurze Regenschauer schaffen kaum Erleichterung. Dafür sorgen ein paar Nachbarskinder, die auf ihren Fahrrädern kommen und Eiscreme und Wasser verschenken: "Garantiert Ehec-frei!", wirbt ein Junge. "Die armen Reporter", meint eine Frau. "Es passiert ja doch nichts heute. Und dann kommen die noch extra aus den USA hierher."

Die Anwohner zeigen wesentlich mehr Interesse an den Journalisten als die Inhaber des Gärtnerhofs. Zwei Jungen kreisen scheu um eine Ansammlung von TV-Moderatoren und knobeln darum, wer nach der nächsten Unterschrift fragen muss.

Nach knapp zwei Stunden haben sie schon 40 Autogramme erbeutet und zahlreichen Anekdoten gelauscht. Damit gehören sie wohl zu den wenigen Gewinnern des Tages, auch wenn sie bald von ihrer Mutter ins Haus gerufen werden: "Hier ist schon so viel los. Stört die Journalisten nicht auch noch bei der Arbeit!"

Doch viel Arbeit gibt es heute nicht mehr. Eigentlich war es ein schöner Tag in Bienenbüttel. Nur für die Besitzer des Gärtnerhofs nicht, die unsichtbar bleiben.

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