: Die Suche nach dem Kick
Mit Phantasie zum Erfolg: Wie aus dem Regisseur Wallner der Schriftsteller Wallner wurde. Von getauschten Körpern, dem Hang zur Eitelkeit bei Männern und Frauen und dem Phänomen Fernsehen. Konsumkritik, schaumig wie ein Milchkaffee
von SILKE LODE
Das „Donat“ in Prenzlauer Berg ist eines dieser italienischen Cafés, das zwischen chic und rustikal schwankend ebensogut als Trattoria, Bar oder Bodega durchgehen könnte. Eine Wandtafel lockt mit Speisen von Spanferkelbraten auf Rucola bis zu den obligatorischen Pastagerichten. Ein Mann mit Sonnenbrille, Lederjacke und Bürstenschnitt betritt das Lokal. Ich erkenne ihn sofort. Michael Wallner. Autorenfotos in den Büchern sind eine gute Erfindung. Wallner kennt andere Tricks: „Man muss sich doch nur flippig kleiden, dass man als Schriftsteller erkannt wird“, begrüßt er mich.
Ehe ich zu Wort komme, ist er schon wieder bei der Tür: „Lass uns doch raussetzen, es ist so schön heute.“ Schlank ist er, sportlich, ein junges Gesicht für seine Mitte vierzig. Er bestellt sich ein stilles Wasser, ich hatte Campari Orange erwartet. Verwundert nimmt er zu Kenntnis, dass ich seine Biografie nicht kenne: „Dann mach ich mal schnell eine runter“. Geborener Österreicher, 1976 Beginn einer Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar des Wiener Burgtheaters, dort auch das erste Engagement. Anfang der 80er dann am Berliner Schillertheater, 1985 Umstieg zur Regie. Aber nach 10 Jahren an Opernhäusern und Theatern musste er feststellen: „Ich hatte so einen Überdruss dem Theater gegenüber, ich konnte nicht mehr das, was ich wollte – ich habe nach einem Medium gesucht, das die eigene Phantasie purer rüberbringt.“
So wurde aus dem Regisseur Wallner der Schriftsteller Wallner. Um das Publikum sei es ihm nicht gegangen: „Weil ich ja gar nicht wusste, ob das Zeug jemand verlegen wird, kaufen wird, lesen wird.“ Glaubt man seinen Erzählungen, so müssen schon seine Inszenierungen sehr phantastisch und chaotisch gewesen sein. Seine Bücher sind es auf jeden Fall. Manhatten fliegt ist Wallners erster Roman. Er erzählt auf drei Zeitebenen eine Geschichte voll mysteriöser Ereignisse und kauziger Figuren. „Das alles am Ende zusammenzubringen, das war gut.“ Selbstbewusst ist er, mit beiden Beinen mitten in der Gegenwart, den Kopf voller verrückter Einfälle. Cool. Einer, der sich nicht leicht aus dem Konzept bringen lässt.
Auch sein zweiter Roman Cliehms Begabung und das jüngstes Werk Haut leben von diesem einen Moment, diesem Kick, der allem eine phantastische Wendung gibt: Von der Begabung des Teilchenphysikers Cliehm, kurze Zeitreisen unternehmen zu können oder von der Kunst des Shin Raafi, das Bewusstsein zweier Menschen den Körper tauschen zu lassen. Es sind zwei Frauen, die in Haut mehr oder weniger freiwillig die Körper tauschen. Die korpulente, picklige Kleptomanin Karo und die Talkmasterin Michaela Masuren, die sich den Slogan „Impuls, Ausdauer, Erfolg“ zum Lebensmotto gemacht hat.
Michael Wallner glaubt, dass dieses Thema nur über Frauen funktioniert. „Das Definieren über Äußeres ist in bestimmten Kreisen und bei bestimmten Persönlichkeiten schon ein speziell weibliches Thema“. Mein Blick schweift über seine Sonnenbrille und Haare, wie frisch vom Frisör. „Es gibt ja auch eine eitle männliche Figur in dem Buch“, beeilt er sich, nachzuschieben. Das ist ein Synchronsprecher, der seine erotische Stimme den großen Stars leiht, und der nicht länger damit leben will, dass sein Gesicht nie in Erscheinung tritt. Es ist das Spannungsfeld zwischen Karo, der TV-Konsumentin, dem Sprachtransmitter Schatz und der Showbusiness-Frau Michaela Masur, das Wallner interessiert. Schließlich ist das Phänomen Fernsehen Teil unserer Wirklichkeit. Er erzählt von einem Abendspaziergang in einem holländischen Dorf: „Es gab kein Haus, wo nicht dieses blaue Geflacker war - das ganze Dorf saß vor dem Fernseher. Das ist einfach Realität.“
Wallner ist viel unterwegs. Was als Regisseur unvermeidlich war, ist ihm als Schriftsteller zur Freiheit geworden. Berlin ist seine Wahlheimat, seit sechs Jahren. Weil Berlin eine dialektische und direkte Stadt ist. „Es hat nicht die Verschlagenheit Wiens oder die Dumpfheit Münchens“, meint Wallner. Er wohnt in einem Haus in Prenzlauer Berg. Es ist nicht die Nähe zu Theatern oder Kinos, die ihm gefällt. „Wenn ein Schauspieler oder Regisseur ins Theater geht, ist das so wie wenn ein Briefträger sonntags spazieren geht“, sagt er grinsend. Er will das Zusammenprallen zwischen Ost und West spüren. In kleinen Gesprächen mit den Leuten im Haus, an Blicken, an der Atmosphäre. Das viele Reisen wird früher oder später dazu führen, dass er sich einen Platz auf dem Land sucht, in zwei, drei Jahren vielleicht. Mich überrascht sein Drang zur Natur, sind doch seine Romanwelten alle sehr urban geprägt. „Haut habe ich auch schon vor eineinhalb Jahren geschrieben“, erklärt er. In seinem neuen Drehbuch zu einem Thriller sei das anders: Es geht um vier Leute in einem einsamen Haus im Harz, „Walpurgisnacht“ soll der Film heißen.
Wallner muss ein echtes Arbeitstier sein. Er erzählt von einem weiteren Schreibprojekt, für das er jetzt nach Irland fährt. Er will eine Geschichte schreiben, die in einer düsteren, schwer zugänglichen Hafenstadt spielt, einen Krimi vielleicht. Ein anderer Roman hat schon konkrete Form angenommen: Auf fiktiver Ebene setzt er sich mit der derzeitigen Regierung Österreichs auseinander. Wir unterhalten uns über Haider, Nationalstolz und Minderwertigkeitskomplexe der Österreicher. Er mimt nicht den Experten, und wird wohl auch nie ein politischer Autor werden. Sein Verhältnis zu Österreich hat er auf der Bühne geklärt, in Inszenierungen nach Karl Kraus, Elfriede Jellinek, Werner Schwab. Es wird kalt, wir müssen in Innere des Cafés zurückkehren. Die Kollegin vom Radio wartet schon. Und bald ist es Zeit für die Abendsitzung. Schreibpausen verursachen Entzugserscheinungen.
Michael Wallner liest heute Abend um 20 Uhr in der Buchhandlung Starick, Brunnenstr. 197, Mitte
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