Die Streitfrage: Gibt es noch Freizeit?
Immer erreichbar, jederzeit einsatzbereit: Die Arbeit bestimmt unser Leben. Bleibt der Müßiggang auf der Strecke?
Philatelisten, Fußballtrainer, Angler – es gibt unzählige Arten, seine freie Zeit zu gestalten. Mancher sammelt mit Leidenschaft Briefmarken, jemand anderes engagiert sich im Sportverein, und ein Dritter verbringt jede freie Minute am See. Alle diese Hobbys haben eines gemeinsam: Sie benötigen freie Zeit. Zeit, die Berufstätigen immer weniger zur Verfügung steht. Spätestens, seitdem 60-Stunden-Wochen auch bei einfachen Büro-Tätigkeiten keine Seltenheit mehr sind und viele Menschen über die hohe Belastung am Arbeitsplatz klagen.
Wer sich seine Zeit selbst einteilen kann, ist da besser dran, denkt so mancher Angestellter. Doch wer als Freiberufler selbst über Arbeits- und Freizeit entscheidet, hat womöglich nie Feierabend. Der Laptop, der für viele auch die Funktion eines Fernsehers erfüllt, ist zur Versinnbildlichung dieser Problematik geworden: Freizeit und Erwerbsarbeit finden oft auf einem Gerät statt. Die Versuchung, auch nach 18 Uhr nochmal schnell den Entwurf für den Kunden zu überarbeiten, ist nur einen Klick entfernt. Man beantwortet noch schnell ein paar Kollegen-Mails - und hat schon wieder weniger Zeit für Müßiggang.
Auch die so genannte Vertrauensarbeitszeit, die von Unternehmen als arbeitgeberfreundliche Möglichkeit zum eigenverantwortlichen Zeitmanagement eingeführt wird, entpuppt sich oft als pure Illusion: Zwar müssen Angestellte nicht mehr zwischen neun und 17 Uhr am Arbeitsplatz sein, denn nur das Ergebnis zählt. Aber genau das führt dazu, dass sie ständig und ohne ausreichende Ruhephasen mit der Arbeit beschäftigt sind.
20 Prozent der Erwerbstätigen klagen über Erschöpfung und Niedergeschlagenheit, nach Schätzungen von Gesundheitsexperten und Krankenkassen sind bis zu 13 Millionen Arbeitnehmer von Burnout betroffen. Die arbeitsfreie Zeit kommt von allen Seiten unter Beschuss. Droht das Ende der klassischen Freizeit?
Erste Reaktionen von PolitikerInnen liegen vor: Arbeitsministerien Andrea Nahles (SPD) prüft Kriterien für die Einführung einer Anti-Stress-Verordnung, die Opposition fordert ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit. Kreative Lösungen gibt es, beispielsweise bei der niederländischen Design-Agentur „Heldergroen“: Um zu verhindern, dass die Angestellten bis spät in die Nacht im Büro bleiben, werden die Schreibtische um Punkt 18 Uhr hochgezogen. Andere Firmen leiten geschäftliche Mails ab 18 Uhr nicht mehr auf das Firmenhandy weiter.
Doch lassen sich die Probleme dadurch wirklich lösen? Bestimmt uns die Arbeit zu sehr? Gibt es noch Freizeit?
Diskutieren Sie mit! Wir wählen unter den interessantesten Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der taz.am wochenende vom 18./19. Oktober 2014. Ihr Statement sollte etwa 400 Zeichen umfassen und mit Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Schicken Sie uns eine Mail an: streit@taz.de
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