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Die Stimmung kippt im Drogen-Viertel

■ Anwohner schließen sich zusammen / Mehr Polizei und Dezentralisierung der Hilfen gefordert

„Geschäftig ihrem nächsten Druck entgegeneilende Junkies dominieren das Straßenbild. Vollgepumpte, in sich zusammengesunkene Süchtige gehören ebenfalls zum alltäglichen Erfahrungsschatz unserer Kinder wie Verwahrlosung und um sich greifende Verrohung. Autoaufbrüche, Wohnungseinbrüche sind an der Tagesordnung. Krimi life.“

eu ist diese Beschreibung nicht, die auf einem der vielen Flugblätter steht, mit denen ein knappes Dutzend Anwohnerinitiativen der Bremer Drogenszene zwischen Friesen- und Bauernstraße im Oster- und Steintor in den letzten Tagen an die Öffentlichkeit gegangen sind. Aber neu ist, daß die Stimmung im traditionell liberalen Bremer „Viertel“ kippt und immer mehr Anwohner gegen die zunehmende Brutalisierung der Drogenszene als letztes Mittel nur noch ein hartes Durchgreifen der Polizei sehen. Gestern hatten die Initiativen erstmals gemeinsam zum Pressetermin geladen.

„Hier im Viertel gibt es eine große Toleranz“, sagte Stefan Schafheitlin, einer der Initiativen-Sprecher, „aber inzwischen ist es soweit, daß wir unsere Häuser nicht nur von außen verbarrikadieren, überall Gitter und Zäune ziehen und dicke Schlösser anbringen, sondern wir bilden auch innerlich Gitter.“

Aber noch richtet sich die Wut der AnwohnerInnen, die seit Jahren die Verelendung der Drogenszene vor ihrer Haustür miterleben, nicht gegen die Betroffenen der Drogensucht. „Natürlich wollen wir auch Betreuung und Hilfe für die Drogensüchtigen“, sagte eine Initiativen-Sprecherin, „aber die Betreuung der Abhängigen muß dort erfolgen, wo sie wohnen.“ Alle AnwohnerInnen fordern jetzt dringend die Umsetzung der auch vom Senat versprochenen, bislang aber überhaupt nicht in Angriff genommenen „Dezentralisierung“ der Anlaufstellen für Süchtige. „Das Drogenproblem ist öffentlich, es gehört raus aus den Wohnstraßen auf die Hauptstraße, damit es endlich alle sehen“, sagte einer der Initiativler.

„Aber nicht nur die Drogenabhängigen, Prostituierten, Zuhälter und Dealer sind schuld an der unhaltbaren Situation“, ergänzte Stefan Schafheitlin, „schuld sind vor allem die Politiker, die unser soziales Verantwortungsgefühl jahrelang mißbraucht haben.“ Getrieben seien die Parteien von CDU bis SPD dabei von einem ganz „eigennützigen Interesse“: „Hier im Viertel mit fast 40 Prozent Grünen-Wählern haben sie sowieso nichts mehr zu verlieren, da wollen sie jedenfalls ihre Hochburgen sauber halten.“ Ein deutliches Indiz für diese Haltung sehen die Initiativen in der viertägigen Polizei-Razzia an der Sielwallkreuzung. „Die Aktion hat vom 27.-30. Mai gedauert, vom 28.-31. Mai war der SPD-Parteitag in Bremen — das ist doch kein Zufall“, ahnt Schafheitlin.

Die Gefahr einer „Pogromstimmung gegen Drogenabhängige“ sieht auch Bernd Scheda, seit zehn Jahren Mitarbeiter im Kulturzentrum Lagerhaus, wachsen. Er fordert inzwischen genauso die Ausweitung von Polizeikräften und -präsenz im Viertel wie viele der kleinen LadenbesitzerInnen im Oster- und Steintor, deren Eingänge immer mehr zu „öffentlichen Druckräumen“ werden, wie einer von ihnen beklagt.

Neu ist auch die große Aggressivität vieler Junkies. „Früher habe ich immer mit denen geredet, viele waren ja alte Bekannte“, berichtet eine Anwohnerin der Bauernstraße, „aber seitdem die Messerstechereien vor unserer Tür fast täglich stattfinden und ich selber schon einen Schlag abbekommen habe, kriege ich wirklich Angst.“

Auch Bernd Scheda hat eine Veränderung der Szene bemerkt. Das Alter der Drogenabhängigen vor der Tür des Lagerhauses würde immer jünger und die Stimmung immer brutaler: „Die Verfallszeit der Menschen beschleunigt sich.“ Ase

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