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StandbildDie Stasi im Wohnzimmer

■ "Im Sog der Angst", Mittwoch, 20.50 Uhr, ARD

Einen bestürzenden Bezug zur Realität“ versprach uns die Programmansagerin. Stasi-Akten hin, Stasi-Akten her, wir wollten die Geschichte einmal von innen erleben und bekamen einen Stasi-Thriller, der keine Wünsche offen ließ. Bio- Lehrer Tritschler gerät noch 1989 in die Fänge der Stasi. Sein Bruder, kalkweißes Gesicht und Stoppelbart, sitzt plötzlich in seinem Auto und keucht: „Sie sind hinter mir her.“ Beim morgendlichen Wasserabschlag stehen sie dann auch bei ihm in der Tür, verbringen ihn in die Normannenstraße. Der vernehmende Offizier ordnet liebevoll Tritschlers Schlips, bevor er zuschlagen läßt. Kühl und verständig die Vernehmungsszenen; die gediegene Einrichtung der Amtsstube mit Videoapparat und DDR-Telefon, professionelle Prügeleinlagen. Tritschler weiß von nichts, sitzt kopfschüttelnd in den Katakomben der Normannenstraße. Erst die 'Bild‘-Zeitung gibt ihm Hoffnung: „Die Mauer ist weg!“ Er ißt wieder mit Appetit, der böse Oberst gibt sich resigniert dem Alkohol hin und richtet die Dienstpistole gegen das Honecker-Porträt.

Nun soll alles anders werden. Tritschler flieht und findet sich in der seltsamen Wendezeit nicht mehr zurecht. An der Seite seiner Freundin steht nun ein junger dynamischer Stasi-Auflöser mit Bürgerkomitee- Nickelbrille. Dubiose Type. Ein Westler im fetten Daimler kreuzt auf, eine mysteriöse Blondine tritt hinzu, es geht um eine Liste hochrangiger Stasi-Leute im Westen. Die wird mit viel List und Tücke im Wendealltag gesucht, wobei sich Tritschler in einen sorgfältigen Verfolgungswahn hineinsteigert. Die Stasi ist nämlich nicht erledigt, sondern immer noch sehr kregel, zieht jetzt im Untergrund ihre Fäden. Wem ist zu trauen? Wer war dabei? Wer wurde gezwungen? Und wo ist die Liste?

Der DDR-Bürger, dem soeben das Leben zerstört wurde, greift sich an den Kopf, die Realität kippt ihm weg. Das ist einsichtig inszeniert und für den laienhaften Westler interessant, vom endlosen Finale mal abgesehen. Ja, man kommt aus dem Staunen kaum heraus. Die Ostler also bringen einen deutschen Thriller auf den Bildschirm, der aus dem Umbruch der Systeme seine Kraft bezieht.

Stasi goes Hollywood, der Moloch lebt in den Köpfen fort und zeugt dort wirklich kranke Träume, echtes Kino sozusagen. Je genauer die Vernehmung, die Prügel, der Koller im Knast, umso überzeugender läßt sich die Geschichte ausspinnen. Ein Volk schwitzt in solchen Alpträumen seine lebenslange Angst aus. Vermutlich werden zahllose Varianten dieser Geschichte demnächst die Bildschirme bevölkern; so war dies ein guter Anfang. Olga O'Groschen

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