: Die Stadt ist satt
Großveranstaltungen - und keiner geht hin ■ S P O R T - B U L E T T E N
Berlin ist, sportlich gesehen, eine Stadt der Superlative. Nicht nur, daß es 64 Teams gibt, die erstklassig sind, also in der höchsten Liga spielen, zusätzlich werden hier auch noch Großveranstaltungen en masse durchgezogen, nach denen sich andere die Finger lecken würden. ISTAF, Fußball -Pokalendspiel, Marathon - um nur einige zu nennen. Nicht umsonst reden selbst Oppositions-Politiker, wenn es um Berlin geht, von „der Sport-Stadt“ schlechthin. Doch ganz allmählich macht sich Resignation breit. Nehmen wir das vergangene Wochenende. Da gab es zwei Veranstaltungen, die Spitzensport versprachen. American Football im Olympiastadion und Sechs-Tage-Rennen in der Deutschlandhalle. Zum neumodischen US-Import Football kamen rund 5.000 Zuschauer. Freikarten inbegriffen. Trotz Rahmenprogramm, das nicht alle Tage zu sehen ist. 100 Cheerleaders - das sind jubelnde, ihr Team anfeuernde, junge Mädchen, die das Publikum zum Applaus animieren sollen zogen ihre Show ab. Und: das harte, manchmal brutale Spiel um die ovale Pille, gerade wenn es um die Deutsche Meisterschaft geht und dabei nicht nur Stümper am Werk sein können, ist visuelles Neuland. Zumindest für jene, die keinen US-Fernsehsender empfangen können. Also: nichts wie hin. Mitnichten. Die Veranstalter kamen trotz zahlungswilliger Sponsoren nicht auf ihre Kosten. Mehrere 100.000 Mark Minus. Mit einer vierfachen Zuschauerzahl hatten sie gerechnet. 20.000 Fans waren veranschlagt. Trotz der kühlen Witterung. Fazit: Berlin kommt als Standort nicht mehr in Frage.
Beim Sechs-Tage-Rennen liegt der Fall etwas anders. Diese Veranstaltung hat Tradition. Sie sterben zu lassen, das haben selbst die Veranstalter von der AMK eingesehen, wäre eine Katastrophe. Dicke Tränen würden die Berliner dann weinen, die Presse alles in kleine Stücke zerhacken und überhaupt: Das käme überhaupt nicht in Frage, sagen die Verantwortlichen. Doch de facto ist das Sechs-Tage-Rennen, da kann man soviel um den heißen Brei herumreden, wie man will, kaufmännisch nicht mehr haltbar. Im letzten Jahr gab es 700.000 Mark Verlust. Und heuer, wer die leeren Ränge an den ersten Tagen gesehen hat, wird zustimmen, wird der veranschlagte Etat von 1,2 Millionen Mark nie und nimmer erreicht werden.
Woran liegt das? AMK-Manager Hollstedt hat eine plausible Antwort: „Heute gehen die Leute nicht mehr zum Sport allein. Wer gewinnt oder verliert, hat mit dem Gelingen einer Veranstaltung fast nichts mehr zu tun. Heute ist es genauso wichtig, daß die Toiletten sauber sind, das gastronomische Angebot stimmt und keine Sekunde Langeweile herrscht. Das Freizeitverhalten hat sich geändert. Rundum-Unterhaltung, totales Konsumangebot, nur das zählt heute.“
Otto Rehagel, Trainer von Werder Bremen, ist gleicher Meinung: „Am liebsten würden die Fans doch mit dem Auto an die Außenlinie heranfahren. Bloß kein Aufwand mehr. Obwohl das sportliche Angebot besser denn je ist, hält der Trend zum Zuschauerschwund an. Es ist die neue Bequemlichkeit.“
Davon, daß viele Fans einfach vergrätzt sind, weil sie das Geld, was Spitzensportler in einer Woche verdienen können, selbst in 10 Jahren nicht zusammensparen könnten, davon fällt kein Wort. Und: Der marktwirtschaftliche Gedanke, daß Konkurrenz das Geschäft belebe, trifft auf den Sport nicht zu. Dazu sind die meisten Veranstaltungen zu künstlich. Importware halt. Aus Westdeutschland. Die Berliner sind in dieser Beziehung müde und satt.
Holger Schacht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen