: Die Staatspartei am Ende
Egal, wer aus dem Tauziehen der Parteienvertreter in den Wahlkommissionen schließlich als neuer Präsident Mexikos hervorgehen wird: der Verlierer dieser Wahl ist die PRI. Ihr Mythos der Unbesiegbarkeit ist endgültig dahin. Die Wähler haben gegen die politische Dekadenz gestimmt, gegen den Machtmißbrauch, gegen Korruption und Bürokraten, die ihr politisches Amt als persönliches Geschäft betreiben. Sie haben sich gegen eine Wirtschaftspolitik ausgesprochen, die seit Jahrzehnten die sozialen Ungleichheiten vertieft und eine kleine Schicht von Spekulanten und Funktionären immer reicher werden läßt.
Diesen Niedergang der PRI konnte auch der Kandidat Salinas de Gortari nicht aufhalten, der als Reformpräsident antreten sollte und im Wahlkampf doch nur die Kontinuität des PRI -Systems repräsentierte.
Die Triumph-Pose der Parteispitze am Wahlabend bestätigte diese Kontinuität. Das eiserne Selbstverständnis, eine Partei zu sein, die niemals verliert, fand seine Ergänzung in der Posse des Innenministers, der zunächst einen technischen Defekt im Wahl-Rechenzentrum vorschützte, um später willkürlich ausgewählte Teilergebnisse in Umlauf zu setzen.
Die Oppositionsparteien haben so viele Stimmen bekommen, daß sich Salinas selbst genötigt sah, die Epoche der „Einheitspartei PRI“ für beendet zu erklären und politischen Pluralismus anzukündigen. Das Parlament war bisher mit seiner erdrückenden Mehrheit der PRI-Vertreter ein reines Akklamationsorgan der präsidentiellen Entscheidungen, Gesetze und Verordnungen wurden automatisch ratifiziert. Künftig werden im Abgeordnetenhaus wie im Senat starke Fraktionen echter Oppositionsparteien sitzen, die die politische Konfrontation mit der PRI führen werden.
Auch wenn er diesmal noch nicht die Mehrheit bekommen sollte: Der Gewinner der Wahlen heißt Cuauthemoc Cardenas. Er ist dabei, das Zerbrechen der PRI kräftig zu beschleunigen - der Partei, die sein Vater, der legendäre General Lazaro Cardenas, in den dreißiger Jahren entscheidend mitgeformt hat. Die politische Kraft des Cardenismus, die auch der traditionellen Linken den Boden unter den Füßen weggezogen hat, wird in absehbarer Zukunft eine bestimmende Rolle spielen - wenn sie nicht möglicherweise jetzt schon zum Zuge kommt. Cardenas ist für viele der „Kandidat der Hoffnung“ und die Integrationsfigur der sozialen Bewegungen, die in den letzten Jahren in Stadtteil, Universität und auf dem Lande ein neues Selbstbewußtsein außerhalb der autoritären Strukturen des Regimes entwickelt haben.
Wie der nächste Präsident heißen wird, ist zur Zeit völlig offen. Cardenas kann gewinnen, aber Salinas kann nicht verlieren. Sollte Carlos Salinas die Wahl knapp, aber mit einem Mindestmaß an Legalität gewinnen, dann wird er vor allem sein wirtschaftspolitisches Programm überdenken müssen, wenn er nicht schon bald politisch scheitern will. Und ohne eine Demokratisierung der PRI und des Staates einschließlich einer Begrenzung der absolutistischen Macht des Präsidenten wird der Abstieg der PRI zur „Partei der einfachen Mehrheit“ unaufhaltsam sein, sofern sie nicht versucht, den Verlust an Legitimität durch verstärkte Repression zu kompensieren.
Falls aber Salinas das Präsidentenamt mittels eines massiven Wahlbetrugs gewinnt, wird das Land vermutlich in absehbarer Zeit unregierbar werden. Sollte dagegen der nächste Präsident Cuauthemoc Cardenas heißen, dann ... gibt es auch noch das Militär. So mancher fragte sich in Mexiko, warum sich der Verteidigungsminister vor zwei Tagen genötigt sah, ungefragt zu erklären, das Heer stehe loyal zu den Institutionen - ganz gleich, wer Präsident Mexikos werde.
Gunther Aschemann
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