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Archiv-Artikel

Die Sprache als Körper

Choreographie des Gefangenseins: Teresa Rotemberg inszeniert Sarah Kanes „4.48 Psychose“ in Münster

„Sieh mich verschwinden“ heißt es am Ende des Stücks. Kurz davor wurden weiße Fußspuren auf dem schwarzen Bühnenboden hinterlassen. Das ist dann überdeutlich. Ganz so, als sei sich Regisseurin Teresa Rotemberg des Nachhalls ihrer Inszenierung nicht sicher gewesen. Doch sie ist auch Choreographin. Gerade das macht einen Pluspunkt ihrer Interpretation aus.

Sarah Kanes „4.48 Psychose“, dieser „Bericht“ einer Frau zwischen psychotischen Schüben und medikamentöser Behandlung – Diagnose: pathologische Trauer. Sie isst nicht, schläft nicht, hat keinen Sexualtrieb. Ihr Ziel: Selbstmord. Zwischen selbstzerstörerischer Verzweiflung und Ausbrüchen von Selbstanklagen wird das im Kleinen Haus am Theater Münster zu einer Choreographie des Gefangenseins, der seriellen Niederschläge, der Selbstvermessung und des Zergliedertwerdens.

Der letzte, fragmentarisch strukturierter Text der Britin, der erst nach ihrem Selbstmord 1999 uraufgeführt wurde, verzichtet auf jede Rollenzuweisung. Aber es gibt dialogische Passagen. Rotemberg besetzt das Stück mit drei Frauen (Regine Andratschke, Stefanie Kirsten, Carolin M. Wirth) und einem Mann (Frank-Peter Dettmann). Das mag weniger radikal sein, als Claude Régys Solo-Inszenierung mit Isabelle Huppert im letzten Herbst, hat aber durchaus Vorteile. Schon, weil es dem verbreiteten Unsinn, zwingende Übereinstimmungen zwischen Text und Autorinnenbiographie zu suchen, entgegenwirken kann. Aber auch inhaltlich macht das Sinn: Als „zerstückelte Puppe“ beschreibt sich die Erzählerin, als von „innen zerrütteten Körper“, der auseinander fließt – Körper und Seele, das passt nicht zusammen. „Ein Leben im Netz der Vernunft“ beklagt sie, gesponnen von einem Arzt. Gesprochen wird der Text abwechselnd, dann wieder im Chor, wechselseitig wiederholt. Gesprochen wird aber auch gegeneinander: Die Sprache als physische Gewalt und Wiedergabe des Erlittenen, der Körper als Objekt der Einschreibungen und Ausdrucksmittel des Sagbaren und Unsagbaren. Dettmann wird mehrmals zum (Nicht-)Dialogpartner, zum Arzt, Pfleger – oder doch Geliebten? Vernünftig, überlegen, mal unverständig.

Kanes Stück ist auch eines über die (unmögliche) Liebe. Als „hoffnungslos romantisch“ hat sie ihre Figuren bezeichnet, den Nihilismus als extremste Form der Romantik. So läuft alles auf die ersehnte Urzeit 4 Uhr 48 zu, das tiefste Dunkel kurz vor Morgengrauen, in der die Protagonistin bei sich selbst sein wird, die Zeit der „größten Klarheit“. Des Selbstmordes, den die Gesellschaft als größten Wahn ansieht.

MARCUS TERMEER

Mi, 19:30 Uhr, Theater MünsterInfos: 0251-5909100