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Die "Sozialromantiker" von St. PauliGegen Busen und Banken

Am Millerntor herrscht zuviel Kommerz, findet eine Gruppe von St.-Pauli-Fans, die sich selbst als "Sozialromantiker" bezeichnen. Sie protestieren im Netz und auf den Rängen.

Der schwarze Totenkopf auf rotem Grund, das Emblem der "Sozialromantiker", dominierte am Samstag die Stadionränge beim Spiel gegen den FC Freiburg. Bild: dpa

HAMBURG taz | Ihr Slogan lautet "Bring back St. Pauli", und ihr Label ist der schwarze Jolly Roger - der Totenkopf karibischer Piraten - auf feuerrotem Grund. Ihren Namen hat ihnen der frühere Vereinspräsident Corny Littmann gegeben, der sie - als am Hamburger Millerntor mal wieder über Kult und Kommerz diskutiert wurde - abfällig als "Sozialromantiker" bezeichnete. Ein Kompliment, befand der lose Zusammenschluss konsumkritischer Fans und trug den Schmähbegriff fortan als Ehrentitel.

Die Mitglieder der Sozialromantiker-Initiative bleiben lieber anonym. Ein Interview mit Foto und Namensnennung - keine Chance! Ihre Forderungen aber bewegen seit Wochen die St.-Pauli-Fanszene und mittlerweile auch das Präsidium des Vereins. Eine LED-Leuchtschrift, die während des letzten Heimspiels ständig SMS-Botschaften verbreitete, ist ihnen genauso ein Dorn im Auge wie eine Stripshow, die während der Spiele in einem der Stadionlogen dargebracht wird.

Die werden am Millerntor zwar kieztypisch Séparées genannt, sollen nun aber bitte nicht auch noch kieztypisch genutzt werden. Die vielen zusätzlichen Business-Seats auf der nigelnagelneuen Haupttribüne stoßen den Sozialromantikern ebenfalls auf, und die Werbung für eine Bank im heiligen Fußballtempel ist für jeden gestandenen antikapitalistischen Sozialromantiker sowieso pure Provokation.

Weil blitzende Busen und böse Banken die Herrschaft am Millerntor übernommen hätten, riefen die Sozialromantiker zum Internetprotest auf und haben bereits 4.000 Unterstützer für ihre Forderungen gefunden. Am Millerntor, wo sonst ein eher braun-weißes Fahnenmeer die Kulisse stellt, gab es gegen den SC Freiburg am Samstag nur - hundertfach geflaggt - schwarzen Jolly auf rotem Grund. Garniert mit ein paar kommerzkritischen Spruchbändern, adressiert etwa an Susis Showbar, den Mieter der Loge, wo die entblößten Bälle tanzten: "Oh Susi, wir spiel'n bei dir doch auch kein Fußi!" Ein Protest nach Art des Hauses, der den Nerv sehr vieler Fans genau trifft.

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16 Kommentare

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  • N
    NoJolly

    Die Marke St.Pauli, welche geschickt in der ganzen Republik etabliert wurde, ist doch schon längst Teil des links alternativen Lifestyles geworden. Zumeist Leute, die sich eigentlich gar nicht für (proletenhaften) Fußball bzw. Fußballvereine interessieren, sondern nur ein linkes Statement abgeben wollen. In Prenzlauer Berg beispielsweise kann man nirgendwo mehr hinspucken, ohne einen Menschen mit Totenkopf-Shirt, -Umhängetasche, -Basecap etc. zu treffen. Kritisch gegenüber Konsum und Vermarktung zu sein, ist schön und gut... aber nicht wirklich glaubhaft, wenn man selbst als Werbefläche durch die Gegend läuft.

  • B
    BiBo

    Also, als Oekonom und als St.Pauli Fan muss ich auch mal meinen Senf loswerden. Keine Frage, um langfristig erfolgreich zu sein, und damit meine ich erstmal die Klasse in der 1. Liga zu halten, bedarf es Geld. Und dies muss irgendwie eingenommen werden, und darf dann, und das ist bei ST.Pauli auch sehr, sehr wichtig, nicht irgendwo versickern.

    Fussballvereine, die eine Profiabteilung haben, sind Unternehmen. Sie muessen nach Moeglichkeit Gewinn erwirtschaften. Nur haben Vereine die freie Vertragswahl, sie koennen beauftragen oder ablehnen wie sie wollen. Und nun schalte ich mal auf wirtschaftsbullshitbingo. Jedes Unternehmen muss auf die Stakeholder (ungleich Shareholder) hoeren. Und das sind auch die Fans im Stadion. Und wenn es heisst, es reicht, so muss man dieses ernst nehmen.

     

    Mit anderen Worten, in Schalke wuerde es NIE Werbung fuer Dortmunder Bier geben, egal wieviel gezahlt wird. Warum? Weil es gegen die Prinzipien des Vereins ist. Und so muss es auch beim FC St.Pauli sein. Werbung und Kommerz ja, aber in einem Rahmen, der einerseits Einnahmen verspricht, aber nicht den Prinzipien des Vereins widerspricht. Aber fuer diesen Spagat gibt es ja gutbezahlte Manager!

  • P
    paul1

    Die Initiative „Sozialromantik“ und die Diskussion hier im Forum machen mich ratlos. Welch krude Mischung aus Unverstand, Sozialneid, Angst, Nostalgiegefühlen und Gutmenschentum! Und dem kindlichen Wunsch, dass doch bitte alle anderen so sein mögen, wie man selber ist. Spießertum eben. Auch wenn es sich „links“ gebärdet.

    Unseren FC St. Pauli wirft das nicht um!

  • M
    mfstaiger

    Eines fehlt mir in den all den Aussagen und Analysen. Der Stadtteil St. Pauli. Er erlebt gerade eine extreme Veränderung. Menschen verlieren Wohnungen, überall entstehen Protzbauten und es ziehen Menschen in dieses Viertel, die gar nicht bereit sind für dieses Stadtteil etwas zu tun ausser in teuren Botiquen zu konsumieren oder in den Strassencafes rumzusitzen. Dieser Stadtteil wird ausgenutzt...sei es durch das Stadtmarketing, das sich gerne mit dem wilden Image schmückt, um Touris anzulocken oder durch gelangweilte Besserverdiener aus der ganzen Republik, die glauben, sie seien Hipp, nur weil sie auf St. Pauli ne Zweitwohnung haben. Es geht um den Stadtteil und die Menschen und der Verein dazu, der einmalig in diesem Land, direkt in diesem Viertel zu Hause ist. Alles verändert sich, aber nicht zum Guten für die alteingesessenen Menschen hier und den alten St. Pauli Fans, die immer zu diesem Verein gehalten, egal wie es ihm ging. Der Verein distanziert sich immer mehr von seiner Fan-Base. Dieser Verein ist mehr als ne Fussballtruppe...dieser Verein ist für viele Menschen hier ein Symbol der Unabhängigkeit. Und das wird genauso wie der Stadtteil an sich immer mehr zu einer Farce...ich sag nur Gentrifizierung (ein genauso grausliges Wort wie seine Auswirkungen!). Kommerz braucht man sicherlich wenn man in der 1sten Liga mithalten will, aber ein Verein sollte nie einem Dialog mit seinen wichtigsten Geldgebern aus dem Weg gehen. Und das sind nunmal die Fans, die ihr schwer verdientes Geld seit Jahren Woche für Woche diesem Verein geben. Ich glaube all diese Veränderungen machen den Fans Angst und so ist deren Reaktion nur verständlich.

    Und Menschen, die diese Reaktion als Sozialromantik abtun, leben hier entweder nicht oder haben noch nie um ihre Existenz bangen müssen. Somit ist ihre Meinung unwichtig, denn Sie reden von etwas, was sie noch nie am eigenen Leib erfahren haben. St. Pauli-Fans, you will never walk alone!

  • MC
    Moped city

    Was soll dieses zusammendelirierte Image von St. Pauli überhaupt? Dieser Mythos ist vor allem eines: Ein Image-Produkt Hamburger Medienschaffender. Eigentlich war St. Pauli immer ein genauso normaler Verein wie Bochum, Karlsruhe oder Frankfurt. Jetzt wird es nur sichtbarer, weil einige Fans, die diesen Fakt nie wahrhaben wollten, rebellieren.

  • H
    helmut

    seit die pauli-fans damals in burghausen "eingefallen" sind mag ich den club.

     

    es ist ein kult-klub und der gehört in die 1. bzw. 2 liga !!!

     

    dazu muss geld reinkommen.

     

    ich glaube, dass die im verein sich viele gedanken gemacht haben und entscheidungen getroffen haben, die vielleicht nicht so toll sind ( für 4.000

    sozialromantiker ) aber insgesamt dazu beitragen, dass die "totenköppe" wieder bundesweit im TV zu sehen sind.

     

    I-LOVE-ST.PAULI ( ich als oberbayer )

  • RP
    Romantik pur

    Lieber 3. Liga und Fussball als 1. Liga und Werbeevent. Wenn es so wie die Sozialromantiker fordern auch für mehr klappt, umso besser. Wobei die Stadien der 1. Liga werde ich nicht vermissen.

  • A
    atze

    was genau hat das mit antikapitalismus zu tun, wenn man sich weigert strip-shows im stadium gut zu finden? was ist falsch daran einen sponsor zu kritisieren, wenn dieser dem vereinsimage widerspricht? nichts. schlussendlich sorgen sich die fans um die identität des vereins, nicht um kapitalismuskritik. sonst kann mans ja auch gleich machen wie in dresden, völlig ins klo greifen und das stadion in "glücksgas-arena" umtaufen.

  • H
    HaRfenStrasseHausBeisitzer

    "Ohne eine ausgefeilte Echtzeitkoppelung von Messergebnissen aus der Landwirtschaft und der Produktion ist eine Planwirtschaft unmöglich, weil sie mit fiktiven Zahlen und falschen Planvorgaben arbeitet."

     

    Quelle: "http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-1170147.html"

     

    Jetzt müsste nur noch das Korn so schnell wachsen wie es gemäht gemalen und zu brötchen gebacken wird. Wenn wir mal von der fünften Jahreszeit absehen würden müsste der Speiseplan einmal jährlich rotieren damit die Prognosen zutreffend sind.

  • N
    nologo

    Das Problem ist doch die Mischung zwischen Kommerz und ich nenne es mal Bewahrung zu finden. Da ist St. Pauli übrigens nicht alleine, wie BankXY-Arenen etc. zeigen. Was im übrigen auch in den jeweiligen Fanszenen meist auf scharfe Kritik stößt. (Ausnahmen vielleicht VW Wolfsb. oder 18,99 Hoppenheim)

     

    Nun muss der Verein sich die Frage schon gefallen lassen, warum er einerseits mit antikapitalistischen und auch antisexistischen Fans kokettiert und andererseits eine Bordell-Loge baut und der nach Bayern, Schalke und Dortmund meist vermarktete Klub ist.

     

    Die Reaktion der "Sozialromantiker" hat daher meine Sympathie. Man muss nicht auch den letzten Kitsch vermarkten und immer schön sein "non established" Button aufdrucken.

    Aus wirtschaftlicher Sicht könnte man zusätzlich argumentieren, dass die Marken- und Imagebildung es nunmal erfordert ab und zu auch mal auf die ein oder andere Werbemaßnahme zu verzichten.

  • H
    Hann0s

    Es gibt doch noch etwas zwischen völliger kommerzfeindlichkeit und SMS-Tickern und Bankenwerbung. Ein Kultclub wie St.Pauli sollte sich doch noch eher als ein SC Freiburg aussuchen können, welche Sponsoren er hat. Allein wenn man nicht jeden Scheißdreck wie die andern mitmacht und zumindest ein paar Prioritäten setzt kann man bereits n deutliches Zeichen setzen, und ich denke die Sozialromantiker sehen das genau so

  • F
    Fussballmillionäre

    Solang unser Gebührenfinanziertes staatliches Fernsehen jedes Jahr 100 Mio € für die Bundesliga Übertragungsrechte an die Vereine überweisst kann Pauli von mir aus Plüschne Totenkopfäffchen verkaufen. Ich weiger mich keine Wahl zu haben und mit Zwangsabgabe 18 Jährige Millionäre zu bezahlen.

  • H
    Hannes

    Es geht nicht darum, die Séparées alle wieder zurückzubauen. Es geht um die Kündigung des Susi-Séparées. Es sollte doch klar sein, dass man ins Stadion geht, um sich das Spiel anzuschauen und nicht statt dessen irgendwelche Strip- und Sexshows. Dafür gibt's aufm Kiez genug Läden.

     

    Die neuen Business-Seats auf der Haupttribüne sollen zurückgebaut werden und den Platz wieder bezahlbar zu machen und den Fans zur Verfügung zu stellen. Die Business-Seats sind selten belegt.

     

    Werbung muss natrülich sein, aber es muss auch zum Verein passen. Ist sicherlich schwierig, den Spagat zwischen Kommerz und Kult hinzukriegen. Aber genau deswegen muss man auch mal auf die Fans hören und nicht über sie hinweg entscheiden.

     

    Kohle muss rein, das ist klar, aber es kommt auf die Art und Weise an.

     

    Wenn das Stadion weiter so ausgebaut wird wie jetzt bereits die ersten 2 Tribünen, gibt es mehr Séparées als bei fast allen BuLi-Mannschaften. Das ist nicht nötig.

     

    Und wenn ich als Vereinsvorstand sehe, dass fast das ganze Stadion, sogar die Haupttribüne, die Protestflagge zeigt, dann muss ich doch erkennen, dass ich endlich in den Dialog einsteigen muss.

  • K
    Ketzer

    sicher kann man auf Werbung und Logen verzichten, dann sollte man aber mit der 3. Liga abwärts zufrieden sein oder wenn man doch in der 1. Liga spielen will, müssen halt alle Fans das vielfache der jetzigen Eintrittspreise bezahlen.

    Sozialromantik schön und gut aber Lösungen bietet sie meist nicht.

  • H
    Holpi

    Dann gibts nur noch eins: Rückbau des Stadions, kiesgefüllte Stehtraversen mit Haltebügeln so wie früher, freiwillig zurück in die Regionalliga und gegen Mannschaften wie ZFC Meuselwitz oder FC Oberneuland 1948 das alte Kiezkickerfeeling wieder aufleben lassen.

  • K
    Kotsch

    Den Pauli-Fans ist aber schon aufgefallen, dass Sie in der nicht so ganz unkapitalistischen Bundesliga spielen ...