Die Sentimentalitäten der Saar-SPD: Vorwärts und endlich vergessen
Nach 13 Oppositionsjahren will die SPD im Saarland wieder mitregieren. Der nüchterne Parteichef Heiko Maas flirtet mit der CDU, die Basis tendiert zu Neuwahlen.
SAARBRÜCKEN taz | Das Saarland ist so klein wie ein Landkreis in Brandenburg, aber deutlich voller. Selbst seine Bewohner sagen, dass hier jeder jeden kennt. Oder zumindest jeder jemanden kennt, über den man jeden kennt.
Es geht familiär zu. Wer von Reinhard Klimmt wissen möchte, wie sein ehemaliger Schützling Heiko Maas künftig das Saarland mitregieren will, den lädt der Exministerpräsident deshalb zum Plausch ins heimische Dachgeschoss, an den knisternden Holzofen.
Von hier oben, nahe dem Saarbrücker Zoo, hat der 69-Jährige einen guten Blick über die Stadt. Als seine Schwiegereltern nach dem Krieg das Haus bauten, dampfte vor ihnen im Tal noch eine Stahlgießerei. Heute schaut Klimmt auf Filialen von "real" und "Media Markt", und auf dem Dach erzeugen Solarzellen Strom. Das Land hat sich gründlich verändert. Auch politisch.
Zurzeit sprechen CDU und SPD darüber, ob sie erstmals in der Landesgeschichte koalieren sollen. Es ist ungewiss, ob SPD-Chef Maas seine Partei vom Bündnis überzeugen kann. Klimmt legt einen kleinen Holzscheit in die Ofenglut und sagt: "Es wäre sehr plausibel, jetzt die Arschbacken zusammenzukneifen und das Land zu regieren. Sonst streiten wir irgendwann um einen toten Vogel."
Das klingt deutlich: passend für einen handfesten Sozialdemokraten aus dem einstigen Kohlerevier, der an der Seite Oskar Lafontaines in der Saar-SPD aufstieg, schließlich 1998 sein Nachfolger als Ministerpräsident wurde. Zehn Monate später verlor Klimmt knapp die Landtagswahl. Auch weil sein einstiger Gefährte in der Zwischenzeit alles von sich gestoßen hatte: Bundesministeramt, Parteivorsitz, die Hoffnungen seiner Anhänger. "Die Katastrophe von 99", sagt Klimmt, "ist immer noch nicht bewältigt."
Ob aber vorm Zusammenkneifen der Arschbacken eine Neuwahl steht, oder ob die SPD direkt mit der Union koalieren soll, dazu sagt Klimmt lieber nichts. Denn das ist die entscheidende Frage in diesen Tagen. Von ihrer Beantwortung hängt eine Menge ab: die Landesregierung, die Zukunft der Saar-SPD – und die ihres Chefs, der zu seiner Partei nicht recht passen mag.
Anfang der Woche, Pressekonferenz der SPD-Fraktion im Saarbrücker Landtag. Die Journalisten wollen eine Antwort auf die entscheidende Frage, die der Taktiker Maas nicht geben will: "Wir sorgen erst mal für stabile Verhältnisse", sagt der immer noch jungenhaft wirkende Mann im schwarzen Anzug. "Aber wir erkennen an, dass es ein Bedürfnis nach Wahlen gibt."
Eine gespaltene Partei
Was Maas damit sagen will, ist: Die SPD ist gespalten. Auf einer Tour durch die Kreisverbände hat der 45-Jährige erfahren, dass viele der rund 20.000 Genossen Neuwahlen für die beste Lösung halten. Denn sie glauben, ihre Partei würde dabei besser abschneiden als die Union. Dann würde die SPD nach 13 Oppositionsjahren wieder den Ministerpräsidenten stellen. Die CDU, der die Sozialdemokraten noch nie recht über den Weg getraut haben, hätte dann den undankbaren Job des Juniorpartners.
Maas hingegen fürchtet die offene Auseinandersetzung. Zwar bescheinigt die letzte Meinungsumfrage der SPD 35 Prozent, der CDU nur 32 Prozent. Aber das war im vergangenen November, lange vor dem Bruch der Jamaika-Koalition vor 13 Tagen. Maas' Taktik lautet seither: Erst mal sondieren.
Zweimal haben sich beide Seiten seither im Landtagsgebäude getroffen, das zweite Mal nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe. Die CDU unter Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zeigte sich sehr entgegenkommend: Über den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen lasse sich reden, auch über veränderte Gemeinschaftsschulen. Bildung ist Kernthema der SPD.
"Können Sie das noch mal konkretisieren?", fragt ein Journalist Maas in der Pressekonferenz. Der antwortet schlicht: "Nee." Er rede doch schon sehr offen über den Verlauf der Verhandlungen. "Dem einen oder anderen vielleicht schon zu offen." Keine Seite will als Verantwortlicher für vorgezogene Neuwahlen dastehen. Und nach dem Wahlgang, glauben die Verhandler, käme wieder nur ein Bündnis von CDU und SPD infrage.
Ungeliebte Grüne
Das kommt so: Maas mag die Grünen nicht, seit diese 2009 überraschend ein rot-rot-grünes Bündnis platzen ließen. Die CDU mag die Grünen auch nicht mehr, drückten sie im Jamaika-Bündnis doch mehr durch, als ihrer Größe entsprach. Die FDP, der Anlass für den Bruch der schwarz-gelb-grünen Koalition, muss niemand mehr mögen. Und der Linke-Fraktionschef Lafontaine hat verkündet, mit einer SPD, die die Schuldenbremse im hoch verschuldeten Land akzeptiere, könne seine Partei nicht koalieren.
Lehne sie diese jedoch ab, stehe Rot-Rot nach Neuwahlen nichts im Wege. Lafontaine will die Linke zurück ins Spiel bringen und die SPD unter Druck setzen. Er machte Maas einst zum Staatssekretär, heute mögen sie einander nicht mehr. Das Saarland ist klein, das macht das Regieren nicht einfacher.
Umso wichtiger war es da bislang, Anhänger emotional an sich zu binden. Das konnte der polternde Ex-CDU-Ministerpräsident Peter Müller, der auf Wein- und Grillfesten jeden, der nicht bei drei auf den Bäumen war, mit einem dröhnenden "Und, alles klar?" auf die Schultern klopfte. Lafontaine war ähnlich, ein Menschenfänger. Aber der schmale, stille Jurist Maas, der für den Triathlon trainiert, wenn er Aggressionen abbauen will?
Kein Kumpeltyp
"Maas ist kein Kumpeltyp, eher intellektuell, distanziert", sagt Klimmt. "Aber durch die Niederlagen, die er weggesteckt hat, hat er an Statur gewonnen." Für den alten Parteikämpen steht Maas, den er 1998 zum jüngsten Landesminister Deutschlands machte, für die Zukunft der Saar-SPD. Und das, obwohl Klimmt über seine Landsleute urteilt: "Die Kultur hier ist stark vom rheinischen Katholizismus, der mal Fünfe gerade sein lässt, geprägt."
Maas' Kühle, seine Kontrolliertheit, könnten sich diesmal als Vorteil erweisen. Zwar hat der Mann aus Saarlouis als Spitzenkandidat zwei verlorene Landtagswahlen zu verantworten. Vor zwei Jahren stürzte die Partei gar auf 24,5 Prozent der Stimmen. Zehn Jahre zuvor hatte Klimmt – trotz Lafontaines spektakulärem Rücktritt – noch 44,4 Prozent erzielt.
Die Verluste der SPD haben auch mit dem Wandel des Landes zu tun, von der Montanindustrie zum Media Markt. Es gibt kaum noch klassische Industriearbeitnehmer, die mit ihren Familien geschlossen sozialdemokratisch wählen. Viele Stimmen hat 2009 auch die Spitzenkandidatur Lafontaines für die Saar-Linke gekostet. Sie bekam sensationelle 21,3 Prozent.
Als kommunikativ, nicht konfrontativ, gilt Kramp-Karrenbauer, die im August 2011 das Amt von Peter Müller übernommen hat. Eine Managerin der Macht, die weniger Spaß als ihre Vorgänger daran hat, politische Gegner vorzuführen. So einer ist auch Maas. Dieser Stil könnte passen zu einem Land, dessen Bewohner die Nase voll von Koalitionskämpfen haben. Genug zu tun gibt es. Das Saarland hat so viele Einwohner wie Köln, aber mehr als 11 Milliarden Euro Schulden.
Sparen statt verteilen, und das über Jahre: Will die Saar-SPD das? Jene Truppe, die sich traditionell als besonders links begreift, als Landesverband von Arbeitern für Arbeiter? Die Frau, die das wissen muss, trägt kurze, rot gefärbte Haare und goldfarbene Ohrringe. Wenn sie lacht, erinnert das Rollen in ihrer Kehle daran, dass sie bis vor Kurzem täglich zwei Schachteln geraucht hat. "Heiko hat einen anderen Führungsstil", sagt Elke Ferner. Sie meint: anders als Lafontaine. An ihm muss sich hier noch immer jeder messen lassen. "Aber im Ergebnis kommt man weiter, wenn man versucht, die eigenen Leute mitzunehmen."
Ferner sitzt an ihrem Frühstückstisch. Im Nebenzimmer bohrt ihr Mann Löcher in den neuen Ikea-Schrank. Ferner ist Fleisch vom Fleische der Sozialdemokratie: aufgewachsen im Saarbrücker Arbeiterstadtteil Burbach, Lehre als EDV-Kauffrau. Am Wahlabend 1983 trat sie in die SPD ein. Schnell machte sie Parteikarriere: stellvertretende Landesvorsitzende, später auch Vizebundesvorsitzende. Saarbrücken ist ihr Wahlkreis. Seit 1990 sitzt sie fast durchgängig im Bundestag. Eine Aufstiegsgeschichte. Ferner sagt es anders: "Ich bin ein Produkt der SPD-Politik der 60er und 70er Jahre."
Immer schon dagewesen
Maas ebenso. Trotzdem ist er das Gegenteil der extrovertierten Exkettenraucherin. Dabei ist der ehemalige Messdiener ein Eigengewächs. Vor zwei Jahren versuchte Maas, den Mentalitätswandel für sich zu nutzen: Von Wahlplakaten blickte ein gebräunter Maas mit Augenfalten und geöffnetem Hemdkragen, darunter der Spruch: "Der neue Mann".
Doch Maas war nicht neu, er war immer schon da. Trotz Gesichtsbräune blieb er blass. Für Ferner ist er trotzdem einer der Ihren: "Viele SPD-Mitglieder haben ja selbst Kinder, die studiert haben. Die sollten es mal besser haben." So ein Kind, das ist in diesem Bild auch Maas.
Am Ende haben die Sozialdemokraten also einige Gründe, ihrem Spitzenmann zu folgen: Bei vorgezogenen Landtagswahlen gäbe es nicht mit Gewissheit etwas zu gewinnen, aber womöglich manches zu verlieren. Ihnen kann nicht mehr entgehen als das Sparen in einem nahezu bankrotten Land. Gegen den nüchternen Maas spricht in dieser Lage nichts. Aber die Partei, die noch immer dem Rausch nachtrauert, den ihr einst Lafontaine bereitete, sucht weiter nach Gründen, was für Maas spricht.
Ihre jahrzehntelange Zigarettenabhängigkeit hat Elke Ferner überraschend simpel in den Griff gekriegt: "Ich habe einfach nicht mehr geraucht." Aber bis heute träumt sie davon.
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