: Die Schweiz will Kurden „ausschaffen“
Kurdische Asylsuchende sollen in Türkei abgeschoben und dort von Schweizern „betreut“ werden/ Vereinbarung soll einen „Kompromiß“ zwischen Regierung und Flüchtlingsorganisationen darstellen ■ Aus Genf Andreas Zumach
Eine bislang einmalige Vereinbarung zwischen Schweizer Regierungsbehörden und Flüchtlingsorganisationen droht 22 kurdischen Asylsuchenden aus der Türkei zum Verhängnis zu werden. Danach sollen abgelehnten kurdische Flüchtlinge in dieser Woche in die türkisch Stadt Izmir „ausgeschafft“ und dort zunächst in einer von der Schweizer Regierung angemieteten Pension untergebracht werden. Nach Izmir begleitet und dort vorläufig betreut werden sie von acht SchweizerInnen. Diese Vereinbarung könnte für künftige Abschiebungen nicht nur aus der Schweiz, sondern auch aus anderen westeuropäischen Staaten als Modell dienen.
Während der 700Jahrfeier von Schweizer Regierung und Parlament waren 14 der 22 Kurden am letzten Donnerstag unter spektakulären Umständen nach einer Pressekonferenz und einer Begegnung mit den Spitzenvertretern der Schweizer Kirchen in Bern verhaftet worden. Seitdem sind sie in einem vergitterten Zivilschutzbunker im Kanton Obwalden in zwei Räumen von 20 Quadratmentern und ohne Tageslicht inhaftiert. Die 22 Flüchtlinge waren im Februar untergetaucht, nachdem Berns Justizminister Koller gegen die Empfehlung der Kantonsregierung den Sofortvollzug der Ausschaffung angeordnet hatte.
Die Vereinbarung über ihre Rückführung wurde vom Chef des Bundesamtes für Flüchtlingswesen, Arbenz, dem Leiter der Obwaldener Kantonsregierung, Peter Zuber von der „Aktion für abgewiesene Asylsuchende“ sowie einer Vertreterin der „Solidaritätsgruppe Flüeli- Ranft“ ausgehandelt. Aus den Flüchtlingsorganisationen gibt es jedoch bereits heftige Kritik an dem „faulen Kompromiß“, der nur eine „Augenwischerei“ sei. Laut Arbenz sollen die Kurden „für Wochen oder Monate“ in der Pension in Izmir untergebracht werden. Der Cousin eines inhaftierten Kurden fürchtet jedoch um das Leben seines Verwandten, falls der auch nach Ablauf dieser Frist in der Türkei bleibt. „Er hat sich politisch betätigt. Man würde ihn in den Militärdienst stecken, und irgendwann käme der Bericht, er sei bei einem Unfall gestorben.“
Doch Peter Zuber strebt Vereinbarungen über „begleitete Ausschaffungen“ auch für 50 weitere Kurdenfamilien an, die sich in der Schweiz derzeit versteckt halten. Die bisherige Strategie seiner und anderer Flüchtlingshilfeorganisationen, die auf einen generellen Abschiebungsstopp für Kurden setzte, hält er für gescheitert. Auch Justizminister Koller, der mit der Vereinbarung die „Rückführung der Kurden in Sicherheit und Würde gewährleistet“ sieht, schloß entsprechende Verfahren für die derzeit rund 16.000 kurdischen und türkischen Asylsuchenden in der Schweiz nicht aus. Scharf kritisiert wurde der Minister vom katholischen Flüchtlingskaplan Cornelius Koch, der die Berner Pressekonferenz der Kurden am letzten Donnerstag organisiert hatte. Koller sei „ein Nero der Neuzeit“, der die Flüchtlinge „wie im alten Rom in die Katakomben“ schicke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen