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Die Schweiz vor dem Spiel gegen die TürkeiDer Blick zurück nach vorn

Vor dem nun schon alles entscheidenden Spiel gegen die Türken suchen die Schweizer Motivation in der Vergangenheit. Dort allerdings sind keine wirklich aufbauenden Erinnerungen aufzutun.

So recht kann wohl niemand in der Schweiz die eigene Nationalmannschaft als Champion sehen. Bild: dpa

TENERO taz "Wir haben nicht vergessen!", titelte gestern das Revolverblatt Blick und erinnerte noch einmal an des letzte Spiel der Schweiz gegen die Türkei, an die "Schande von Istanbul". Vor zweieinhalb Jahren sicherte sich die Schweiz in der Türkei die WM-Teilnahme. Die daraufhin von türkischen Spielern angezettelte Schlägerei war am Tag vor dem für die Gastgeber so wichtigen zweiten Gruppenspiel gegen eben die Türkei eines der großen Themen in den Medien. Den Schweizern fällt es offensichtlich schwer, nach vorne zu blicken. Der Blick zurück bestimmt die Berichterstattung.

Das geht es nicht nur um jenes brutale Ende der WM-Qualifikation, da geht es auch und immer wieder um das Eröffnungsspiel, das die Schweiz gegen Tschechien verloren hat. Die Spieler werden immer noch gefragt, ob es nicht doch einen Handelfmeter gegen die Tschechen geben hätte müssen. Und nicht nur Torhüter Diego Benaglio ist sich sicher, dass es eine Fehlentscheidung war, den Elfmeter nicht zu geben. Die Schweizer, sie fühlen sich vom Schicksal ungerecht behandelt. Und deshalb bestimmt Alexander Frei, Stürmer und Kapitän der Nati, der sich im Auftaktspiel das Innenband angerissen hat, immer noch die Sportnachrichten. Die Rede, die er vor der versammelten Presseschar gehalten, sie wird ausgiebig zitiert, an diesem Tag vor dem wahrscheinlich vorentscheidenden Spiel gegen die Türkei, die ja ebenfalls mit einer Niederlage ins EM-Turnier gestartet ist. "Champions stehen immer wieder auf!" Das ist die Formel, mit der der verletzte Spielführer, der bei der Mannschaft bleiben will, sein Team zu motivieren versucht.

Doch so recht kann wohl niemand in der Schweiz die eigene Nationalmannschaft als Champion sehen. Zwar erinnert man sich gerne, wieder so ein Blick zurück, daran, wie die Schweizer nach Freis Ausfall all ihre Kräfte mobilisiert und tatsächlich Dominanz erlangt haben über die Tschechen. Und doch herrscht Rätselraten darüber, wer im Angriff auflaufen soll gegen die Türkei. Mancher glaubt gar, die Schweiz habe sich schon aufgegeben. Um keine Missverständnisse dahingehend aufkommen zu lassen, machte Trainer Köbi Kuhn noch einmal deutlich: "Ich möchte allen versichern: Die Spieler sind nicht demoralisiert. Sie werden am Mittwoch bereit sein." Und ein wenig ließ er sich auch in die Karten schauen, was seine Aufstellung betrifft. Nachdem Kuhn anders als die meisten Medien in der Schweiz Marco Streller für seinen Einsatz gegen Tschechien Lob gezollt hat, geht man davon aus, dass der ehemalige Stuttgarter, der seit letzter Saison beim FC Basel unter Vertrag steht, als einzige Spitze aufs Feld geschickt wird. Das wird allerdings nur dann gut gehen, wenn Streller seine Aduktorenprobleme in den Griff bekommen hat. Angeblich hat er das.

Etwas zurückgezogen könnte Hakan Yakin, der Torschützenkönig der abgelaufenen Saison in der Schweizer Liga, zu seinem zweiten Einsatz bei der EM kommen. Mit vielen hohen Bällen darf dann gerechnet werden und es ist fraglich, ob die kopfballstarke Abwehr der Türken so wirklich ausreichend unter Druck gesetzt werden kann. Eren Derdyok, der schnellen, aber bisweilen noch arg ungestümen 19-jährigen Nachwuchshoffnung im Sturm, bliebe dann nur ein Platz auf der Bank und eventuell die Rolle des Jokers. Auch Jakob Vonlanthen, dessen Lattenknaller gegen Tschechen (Genau: wieder ein Blick zurück) immer noch als Riesenpech bejammert wird, muss sich darauf gefasst machen, frühestens nach einer Stunde eingewechselt zu werden.

Beinahe einhellig fordert die Schweizer Sportpresse eine offensive Vorstellung des Teams. Nur so könne das heimische Publikum mitgerissen werden. Mit dem ist man nämlich in der Schweiz alles andere als zufrieden. Zu leise sei es im Baseler St Jakobs Stadion gewesen, wird allenthalben bemängelt. Der dickbalkige Blick reservierte seine Leserbriebseite für Beschwerden über die miese Stimmung im Stadion. Einer fragte sich dort: "Waren wir da an einer Beeerdigung oder was?" Das soll an dieser Stelle der letzte Blick zurück gewesen sein.

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