: „Die Schwachstelle im Auto ist der Mensch“
■ Daimler verändert Bremen oder: Wie der Geist des Muster-Ländles mit dem guten Stern in Bremen Einzug hielt Daimler-Chef wollte roten SPD-Pulli und die Stadt als Umfeld / Bericht von einer Reise in die Zentrale (vgl. taz 7.12.)
Auf dem „Genfer Salon“ im März 1989 soll der „Super-Star“ vorgestellt werden: der neue in Bremen produzierte 2+2 -sitzige offene Sportwagen von Daimler Benz, den es als 300 SL und auch als 500 SL geben soll. Spitzengeschwindigkeit: 250 km/h. Das Gefährt wird um die 100.000 Mark kosten und mit soviel moderner Technologie ausgestattet, daß es Image -Träger für den „Stern“ sein kann: Das Beste, was auf dem Markt zu bekommen ist, weniger darf es nicht sein. Wo kann jemand das Gerät zwischen Tempolimit auf den Autobahnen und den Touristen-Strömen auf den Promenaden französischer Badeorte ausfahren? Jürgen Hubbert, stellvertretendes Vorstandsmitglied für den Geschäftsbereich Personenwagen der Daimler-Benz-AG: „Es gibt immer Leute, die gern mal an der Ampel mit quietschenden Reifen losfahren, auch das ist ein Form von Vergnügen.“
In Stuttgart zumindest ist für Raser-Vergnügen nur wenig Raum. Zwar mangelt es nicht an vierspurigen Straßen, aber was nützt das, wenn morgens früh und dann wieder zwischen 16 und 20 Uhr nachmittags auf den zahlreichen Schnellstraßen Stoßstange an Stoßstange steht? Und auch das Wetter würde den Herren des neuen SL-Roadster nur wenige Tage im Jahr Ausgang erlauben - siebzig Prozent, so schätzt man in der Daimler-Chefetage, wird an die amerikanische Westküste, ins sonnenreiche Californien gehen.
Sturm auf den Saustall
Von dem „Super-Star“ sollen Ende des kommenden Jahres 80 Stück pro Tag gebaut werden - im Bremer Werk. Und das ist eigentlich die größere Sensation, wenn man bedenkt, wie sehr das Unternehmen unter dem Stern auf Image und Symbole setzt. Kurz: Bremen ist heute als Produktionsort anerkannt. Noch vor wenigen Jahren gab es, so erklärte Hubbert, „Rangeleien zwischen den beiden Werken“. Für die Sindelfinger war es „unvorstellbar“, daß in Bremen ein 190er in der Mercedes -Qualität hergestellt werden könnte. Bremer Arbeitskräfte mußten im Musterländle eingearbeitet werden, die Führungsmannschaft an der Weser kommt zu guten Teilen aus dem Süden.
Wo Daimler-Benz demnächst sein Aushängeschild bauen läßt, schrieb Anfang der 70er Jahre der Hannomag-Henschel -Fahrzeugbau „dreistellige rote Zahlen“
der 2. Mann in der offiziellen Daimler-Hierarchie, Vorstands -Vize Werner Niefer, meint selbstverständlich dreistellige Millionen-Zahlen.
Noch 1972 hatte der Bremer Senat in Stuttgart angefragt, ob es Flächenbedarf gebe. Die Antwort lautete: Nein, und Bremen fürchtete das Ende der Hanomag-Produktion und richtete 400 Kleingärten im Holter Feld ein. Wenige Jahre später wollte Daimler dann doch in Bremen das Werk völlig neu aufbauen, und Niefer erklärte dem damaligen Bürgermeister Koschnick: „Da brauchen wir das Holter Feld.“ Und ein entsprechendes Umfeld, eine Hochschule mit technologischem Schwerpunkt. Der Bürgermeister Koschnick, so verriet Niefer den Bremer Journalisten bei einem Essen im Schorndorfer Geburtshaus von Gottfried Daimler, habe zunächst nicht so recht übersehen, was das für Bremen bedeute. Auch die Handelskammer hatte damals noch keine Antenne für die Zeichen der High-Tech -Zeit.
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Dr. Ing. e.h. Dr. h.c. Werner Niefer: „Bremen ist mein Baby„ Mercedes-Benz-Fot
Und als dann auch noch in der Bremer SPD Einwände kamen wegen der hohen geforderten Infrastruktur-Maßnahmen und alles in Frage stand, verabredete die Daimler-Chefetage sich mit dem Senat in der Bonner „Kajüte“ zum gemütlichen Gelage. Irgendwann nach Mitternacht zwischen drei und vier muß der Daimler-Vize mit dem damaligen SPD-Landeschef Konrad Kunick vor die Tür gegangen sein. Als beide wiederkamen, hatte Niefer den Pullover Kunicks an, Kunick den Niefers. „Der wollte unbedingt meinen roten Polluver haben“, erinnert sich der frühere SPD-Landeschef.
Was vor der Tür geredet wurde, erinnert heute keiner mehr. In der persönlichen Begegnung sei das Vertrauen entstanden, erklärt Kunick, daß die Daimler-Leute es ernst meinten und nicht nur mit der bremischen Karte woanders drohen wollten. Und ihm sei es darum gegangen, was an Arbeitsplätzen herausspringen könnte.
So wie der 2. Mann bei Daimler selber in der letzten Woche nach Kenia mitgeflogen ist, um den SL-Roadster bei offenem Verdeck auszuprobieren, so hat er auch damals seine persönlichen Bindungen an Bremen in die Konzern-Planung eingebracht. Werner Niefer macht nicht den Eindruck eines kühl rechnenden Fachmannes, er hat sich den schwäbischen Dialekt genauso bewahrt wie eine volkstümliche Art. „Mit dem kannsch kei Saustall stürmen“, urteilt er zum Beispiel über Alexander Wittkowsky, den früheren Rektor der Universität und Professor der Produktionstechnik. Wittkowsky hatte andere Vorstellungen vom dem Studiengang Produktionstechnik als die an der Planung beteiligte Firmen wie Daimler oder Krupp-Atlas, Wittkowsky hatte zuletzt gegen die Ehrendoktorwürde für Niefer gestimmt. „Ich habe Schlosser gelernt, das hat der in seinem ganzen Leben noch nicht gemacht“, sagt Niefer stolz. Die Daimler-Presseabteilung verteilt seine Visitenkarte mit „Professor Dr.Ing. e.h. Dr. h.c.“, und der sonst so unkomplizierte Niefer will über das in Bremen erworbene „h.c.“ gar nicht mehr reden: „Ich bin stolz auf das Ehrenamt“, sagt er, und Wittkowsky sei „gegen unsere Republik“ und deshalb sein „erklärter Feind“.
Daimler mit den inzwischen 14.038 Arbeitsplätzen ist heute aus der bremischen Wirtschaftslandschaft kaum wegzudenken. Da wird 5% des bremischen Bruttosozialproduktes erwirtschaftet, 18.000 Mark Steuern pro Arbeitskraft bezahlt. „Wir als Daimler Benz, wir als Bremer Wirtschaft ...“ rutscht es dem Bremer Werks-Leiter Schreck einmal heraus. Warum Daimler kam
Einfach die „Bürgerpflicht“ sei es gewesen, erklärte Niefer den staunenden Bremer Journalisten, was den Daimler-Konzern nach Bremen bewegt habe. Der Konzern habe etwas zum Abbau des „Nord-Süd-Gefälles“ tun wollen. Und in Bremen, wo seit 1938 die Borgward-Werke gestanden hat
ten, habe man eben ein „feeling“ fürs Auto vorausgesetzt.
Der Bremer Daimler-Benz-Werksleiter, der Kaufmann Wolfgang Schreck, übersetzt: Das „Thema Arbeitskräfte war der wichtigste Standortfaktor für Bremen“, die „Probleme“ seien in einer Region wie Bremen mit drei Mal so hoher Arbeitslosigkeit wie im Bundesdurchschnitt „leichter im Griff zu behalten.“
Aber dennoch sind die Werft-Arbeiter, die Daimler nach der AG-Weser-Pleite gern eingestellt hat, „nicht bei uns geblieben“, erläutert Vorstandsmitglied Hubbert: Die seien es gewohnt, zwei Stunden hart zu arbeiten, um dann eine Stunde „in die Weser zu spucken“. Der Produktionsrhythmus bei Daimler ist aber anders. Auch mit Arbeitslosen hat das Werk ganz schlechte Erfahrungen gemacht, heute sucht Daimler Leute mit handwerklicher Ausbildung - „auch ehrbare Berufe wie Bäcker oder Metzger“, sagt Schreck.
Und während 1978 noch 73% der neu eingestellten Kräfte aus Bremen kamen, sind es 1988 noch 53%. Daimler wirbt in einem Umkreis von 50 Kilometern in Niedersachsen an.
Daimler setzte auf Technologie und auf Qualität. „Wenn wir
nicht höllisch aufpassen, dann ist das Auto aus Japan um einige tausend Mark billiger“, erklärt Niefer. Die Koreaner arbeiten 3000 Stunden im Jahr, die Japaner produzieren inzwischen 13 Millionen Autos im Jahr, in den USA zieht japanischer Stil ein: die Einheits-Mützen und die die Unterbrechung der Arbeit für kurze gymnastischen Übungen. Eine Rationalisierungsreserve von bis zu einem Drittel der Produktionskosten sieht der Daimler-Chef - und schreckt gleichzeitig vor japanischen Verhältnissen zurück: „Wir wollen ja Deutsche bleiben“.
Die Auslastung der teuren Produktionsanlagen scheint aktueller Ansatzpunkt von Daimler zu sein. „Das Preßwerk in Bremen müßte rund um die Uhr laufen“, inclusive Samstag, dann wäre das Auto billiger, sagt Niefer. Mit den Gewerkschaften werde über ein Modell der 4-Tage-Woche bei neun Arbeits-Stunden geredet. Da sei er sich auch mit Lafontaine einig, betont Niefer.
Schwachstelle Mensch
Dennoch hat die Autoproduktion bei europäischem Lohnniveau für die Daimler-Planer nur eine Chance gegen die koreanische Konkurrenz: Qualität. Das Wert
Wachstum in der Autoproduktion von Daimler sei nur zu einem Drittel Mengenwachstum, zu zwei Dritteln Qualitäts-Wachstum. Die Dynamik des qualitativen Wachstums, gestehen die Daimler -Leute freimütig ein, habe man unterschätzt. Technische Hilfsmittel sollen bei menschlichem Fehlverhalten anspringen und ein situationsadäquate Verhalten des Fahrzeugs garantieren. Man kann die Straße besser machen, man kann das Auto besser machen, aber der Mensch? „Die Schwachstelle im Auto ist heutzutage der Mensch“, erklärt der Daimler -Vorstand Hubbart.
Macht unterm Stern
Mit dem Bedarf an Technologien erklären die Autobauer - auch das Interesse an dem Flugzeug-und Rüstungskonzern MBB: „Es gibt gewisse Synergien“. Zu den derzeit 22.000 Ingenieuren des Daimler-Imperiums (AEG, MTU und Dornier einbezogen) kämen noch einige tausend hinzu. Deswegen war auch klar, daß Daimler, wenn einmal eine Entscheidung für Bremen gefallen ist, Wert legt auf wirtschaftsfreundliche Politik. Da gehört ein wissenschaftliches Umfeld dazu und „weniger Ideologie“.
Vorstandsmitglied Hubbert lobt die guten Erfahrungen mit Bremen, obwohl man anfangs „sehr deutlich machen“ mußte, „daß eine solche Standortentscheidung keine Risiken beinhalten darf.“ Mit der inzwischen vollzogenen Entwicklung der Universität hin zur Hochtechnologie ist man bei Daimler zufrieden. Daß Bremen seine behindertengerechten Busse schließlich doch nach Qualität - bei Daimler - und nicht bei Neoplan kauft, da ist man sich sicher. Streit? Dem Bremer Daimler-Chef Schreck fällt vor allem die „völlig falsche Entscheidung“ mit dem Tempolimit auf der Blockland-Autobahn ein. „Ich fahr die Strecke jeden Morgen und jeden Abend“, sagt Schreck, er weiß also, wovon er spricht. An dem geselligen Abend im Gottfried-Daimler-Geburtshaus wirft der anwesende Regierungssprecher Ostendorf ironisch ein: „Sie verstehen das nicht. Wir haben das gemacht, um uns optisch auch mal einen Konflikt zu erlauben.“ Insgesamt betont der Bremer Werksleiter Schreck, daß „wir gut mit dem Bremer Senat auskommen, natürlich - wenn wir das verschweigen würden, wären wir Heuchler - aus der Position der Stärke heraus“.
Klaus Wolschner
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