Die Schuldenkrise und die Weltwirtschaft: "Berlusconi kommt zu spät"
Je später das Schuldenproblem angegangen wird, umso teurer wird seine Lösung. Das sagt Konjunkturforscher Jörg Hinze und prophezeit: Die Verunsicherung bleibt.
taz: Herr Hinze, trotz der Herabstufung der USA durch die Ratingagentur Standard & Poors ist der schwarze Montag ausgeblieben. Bleibt die Weltwirtschaft verschont?
Jörg Hinze: Ich will nicht unbedingt von einem schwarzen Montag reden. Aber die negative Tendenz der vergangenen Woche hat sich deutlich fortgesetzt. Und das überrascht insofern nicht, als weder in den USA noch in Europa die Grundprobleme überzeugend angegangen werden.
Was hätte geschehen sollen?
Nehmen wir etwa Italiens Ministerpräsident Berlusconi. Er versprach, einen ausgeglichenen Haushalt bis 2013 vorzulegen. Das geht in die richtige Richtung. Allerdings hat er in den letzten Wochen auch behauptet, dass die italienische Wirtschaft grundsolide sei - und das bei einem Defizit von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Da werden die Märkte misstrauisch. Das bedeutet, seine Ankündigung kommt zu spät.
Was heißt das?
Je später die Politiker das Schuldenproblem angehen, umso kostspieliger wird es. Genau das befürchten auch die Märkte. Deswegen wird die Verunsicherung auch in nächster Zeit groß bleiben.
, 58, ist Konjunkturforscher des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Er unterrichtet außerdem an der Hamburger Universität Volkswirtschaftslehre.
Dennoch: Der große Zusammenbruch ist ausgeblieben.
Ich habe auch gar nicht damit gerechnet, dass es nun zum großen Ausverkauf von US-Staatsanleihen kommen würde. Chinas Bestände an US-Anleihen liegen bei 1,2 Billionen Dollar. Die können die Chinesen und auch andere Gläubiger nicht eben so verkaufen und sie durch Anleihen von Euroländern mit hoher Bonität ersetzen. So große Volumina sind gar nicht vorhanden. Zudem: Würden China oder andere Länder mit hohen Dollarreserven ihre Anteile auf die Märkte werfen, würde der Kurs dieser Papiere sofort kräftig fallen. Der Wertverlust wäre immens.
Die Aufregung um die Herabwertung der USA ist also überzogen?
In gewissem Sinne ja. Je nach Ratingagentur gibt es zwischen 20 und 24 Bonitätsstufen. Im Zuge der Finanzkrise ist der Schuldenstand der USA in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von 70 auf 100 Prozent gestiegen. Da ist es nur folgerichtig, dass das Land nicht mehr die allerhöchste Bonitätsstufe verdient, zumal die Politiker kein Konzept zur Konsolidierung besitzen.
Sind die jüngsten Entwicklungen der Anfang vom Ende des Dollars als Leitwährung?
Grundsätzlich hat der Dollar schon jetzt nicht mehr den unangefochtenen Stellenwert. Das Problem ist nur: Was ist die Alternative? Im Moment schwächeln Euro wie Dollar. Und eine dritte Währung, die den Dollar ersetzen könnte, ist nicht in Sicht.
Was ist mit Chinas Yuan?
Es ist zu wünschen, dass das weltweite Währungssystem auf mehreren Beinen steht. Nur kurzfristig ist damit nicht zu rechnen. Selbst wenn die chinesische Führung den Yuan von heute auf morgen freigegeben würde, müsste sich eine solche Währung erst mal international bewähren. Das aber dauert. Zudem hat die chinesische Führung an einer Freigabe derzeit kein Interesse. Eine kontrollierte Aufwertung: ja. Angesichts der derzeitigen Währungsturbulenzen kann ich mir aber nicht vorstellen, dass die chinesische Führung es riskieren wird, auch den Yuan hektisch hin und her schwanken zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!